27.06.2024 11:38:41 - dpa-AFX: ROUNDUP: BGH verschärft Anforderungen an Werbung mit Umweltversprechen

KARLSRUHE (dpa-AFX) - Mit steigendem Umweltbewusstsein ihrer Kundinnen und
Kunden setzen einige Unternehmen in der Werbung auf die vermeintliche
Klimaneutralität ihrer Produkte. Dabei bleibt aber oft unklar, wie genau diese
Klimaneutralität tatsächlich erreicht wird. Der Bundesgerichtshof (BGH) in
Karlsruhe hat nun strenge Anforderungen an umweltbezogene Werbung festgelegt.
Wer mit mehrdeutigen Begriffen wie "klimaneutral" werben will, muss demnach
künftig schon in der Werbung selbst erklären, was genau dahintersteckt.

Im konkreten Fall hatte die Frankfurter Wettbewerbszentrale gegen den
Lakritz- und Fruchtgummihersteller Katjes geklagt, weil das Unternehmen in einem
Lebensmittel-Fachblatt damit geworben hatte, alle seine Produkte würden
klimaneutral produziert. Der Herstellungsprozess selbst ist nicht emissionsfrei,
das Unternehmen unterstützt zum Ausgleich aber über einen Umweltberater
Klimaschutzprojekte. Nach Ansicht der Kläger war die Werbung irreführend. Dem
Verbraucher seien wichtige Informationen - etwa über die Art und Weise, wie die
Klimaneutralität hergestellt wird - vorenthalten worden. (Az. I ZR 98/23)

Was heißt "klimaneutral"?

Zuvor hatte die Wettbewerbszentrale mit ihrer Klage keinen Erfolg gehabt.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf argumentierte, Verbraucher verstünden den
Begriff "klimaneutral" im Sinne einer ausgeglichenen CO?-Bilanz. Sie wüssten,
dass diese auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Entscheidend
war, dass die Leser aus Sicht des Oberlandesgerichts online ausreichend darüber
informiert wurden, wie die Klimaneutralität der Produkte erreicht werde. Über
einen QR-Code in der Anzeige konnten sie auf der Webseite des Umweltberaters an
mehr Informationen gelangen.

Der Wettbewerbszentrale reichte das nicht aus. Angaben darüber, wie die
Klimaneutralität zustande kommt, hätten schon in der Werbung selbst auftauchen
müssen, forderte etwa Geschäftsführer Reiner Münker
- am besten aufgeteilt danach, was das Unternehmen selbst an
Emissionen einspart und was kompensiert wird. Es müsse unterschieden werden
können zwischen Unternehmen, die mit hohen Investitionen und technischen
Weiterentwicklungen eine tatsächliche Reduzierung ihrer Emissionen erreichen,
und solchen, die im eigenen Betrieb nichts ändern, aber Geld an Klimaprojekte
zahlen.

Das höchste deutsche Zivilgericht gab den Klägern am Donnerstag recht und
verurteilte Katjes unter anderem zur Unterlassung der Werbung. Die Leser der
Fachzeitschrift hätten - nicht anders als Verbraucher - den Begriff
"klimaneutral" sowohl als Reduktion als auch als Kompensation der Emissionen
verstehen können. Die Werbung sei daher irreführend.

Bedeutung für den Wettbewerb

Das Oberlandesgericht habe in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, dass die Irreführungsgefahr bei umweltbezogener Werbung besonders groß ist, so der
Karlsruher Senat. In diesem Bereich gebe es - wie auch bei gesundheitsbezogener
Werbung - ein höheres Aufklärungsbedürfnis der Verbraucher. Erklärende
Informationen außerhalb der Werbung, wie etwa auf der Internetseite des
Unternehmens, reichen demnach nicht aus.

Eine Erklärung des Begriffs "klimaneutral" war nach Ansicht der Richterinnen und Richter vor allem deswegen notwendig, weil die Reduktion von CO2-Emissionen
und die Kompensation dieser Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur
Herstellung der Klimaneutralität seien. Für den Klimaschutz sei die Reduktion
gegenüber der Kompensation vorrangig. Die Irreführung sei dabei auch
wettbewerblich relevant, weil die vermeintliche Klimaneutralität für
Kaufentscheidungen von Verbrauchern von erheblicher Bedeutung sei.

"Unternehmen, die massiv investieren in die Umstellung der gesamten Logistik oder Produktion, der Energiebeschaffung, et cetera, die haben massive
Investitionen und die fühlen sich natürlich im Wettbewerb benachteiligt, wenn
jemand mit einem schillernden Begriff das Gleiche verspricht, obwohl er das
nicht macht", erklärte Münker nach dem Urteil. "Deswegen war das für uns von
Anfang an immer ein Wettbewerbsthema."

Strengere Auflagen für grüne Werbung

Katjes hatte sich bereits vor dem Urteil auf strengere Vorschriften
eingestellt. Der Süßwarenhersteller habe in der Vergangenheit den Begriff
"klimaneutral" verwendet, weil man bestrebt sei, den Anteil der Emissionen bei
der Produktion selbst zu reduzieren, aber auch weil das Unternehmen erhebliche
Ausgleichszahlungen im siebenstelligen Bereich leiste, sagte Katjes-Sprecher
Pascal Bua auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur noch vor der Verkündung.
Nach damaliger Rechtsauffassung sei das erlaubt gewesen. "Mit Blick auf die
aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könnte sich die Rechtslage jedoch
ändern, worauf wir uns entsprechend einstellen müssen."

Strengere Auflagen für grüne Werbeversprechen sind auch auf EU-Ebene in
Arbeit. So einigten sich die Umweltministerinnen und -minister der EU-Staaten
vergangene Woche etwa auf Regeln für freiwillige Aussagen von Unternehmen
hinsichtlich der Umwelt- oder Klimafreundlichkeit von Produkten. Demnach sollen
Unternehmen zur Untermauerung ihrer Angaben und Kennzeichnungen klare Kriterien
und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse verwenden. Es soll zudem klar
erkennbar sein, worauf sich Umweltaussagen beziehen - etwa auf die Haltbarkeit
oder Recyclingfähigkeit. Die Staaten müssen nun mit dem Europaparlament einen
Kompromiss aushandeln.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch begrüßte die Entscheidung des BGH,
forderte aber auch von der Politik klarere Regeln für Klimawerbung. "Die EU darf
in ihren Verhandlungen keine Schlupflöcher für die Unternehmen zulassen", sagte
ein Sprecher. "Slogans wie klimaneutral oder klimapositiv gehören verboten, wenn
sie auf Kompensationsprojekten beruhen. Der Nachweis der Emissionsreduktion muss
unabhängig und nach einheitlichen Standards erfolgen."/jml/DP/jha

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