26.06.2024 05:55:13 - dpa-AFX: ROUNDUP: Pentagon-Chef spricht mit russischem Kollegen - Die Nacht im Überblick

WASHINGTON/MOSKAU/KIEW (dpa-AFX) - US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat
nach Drohungen Moskaus in einem seltenen Austausch mit seinem russischen
Kollegen gesprochen. Während des Gesprächs mit Andrej Beloussow habe Austin
betont, dass es angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wichtig
sei, die Kommunikation aufrechtzuerhalten, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder am
Dienstag. Weitere Details zu dem Telefonat nannte er nicht.

Das russische Verteidigungsministerium teilte in der Nacht zum Mittwoch mit, dass sich beide Seiten über den Krieg in der Ukraine ausgetauscht hätten.
Beloussow habe dabei im Zusammenhang mit den fortlaufenden US-Waffenlieferungen
an die Ukraine auf die zunehmende Gefahr einer Eskalation der Lage in dem Land
hingewiesen. Es seien auch andere Frage besprochen worden. Details nannte das
Ministerium in Moskau nicht.

Moskau hatte Washington am Montag nach einem ukrainischen Raketenangriff auf die Stadt Sewastopol auf der seit 2014 von Russland annektierten
Schwarzmeer-Halbinsel Krim gedroht. "Es versteht sich, dass die unmittelbare
Beteiligung der USA an Kampfhandlungen, in deren Ergebnis russische Zivilisten
ums Leben kommen, nicht ohne Folgen bleiben kann", sagte Kremlsprecher Dmitri
Peskow. Das russische Außenministerium bestellte zugleich die US-Botschafterin
in Moskau, Lynne Tracy, ein und übergab ihr eine Protestnote.

Konkrete Angaben zu den Folgen für Washington machte Moskau nicht.
Allerdings beklagt die russische Führung seit langem, dass sich die USA
zunehmend zum Kriegsbeteiligten würden.

Nach Angaben des Pentagons ging die Initiative für das Gespräch von Austin
aus. Ryder zufolge hat Austin das letzte Mal am 15. März 2023 mit seinem
russischen Kollegen gesprochen. Damals war noch Sergej Schoigu russischer
Verteidigungsminister. Er war nach zahlreichen Skandalen um Korruption und
Amtsmissbrauch auf den Posten des Sekretärs des nationalen russischen
Sicherheitsrats gewechselt. Der Ökonom Beloussow soll dafür sorgen, dass die
Militärausgaben effektiv für die Kriegswirtschaft und die Kämpfe an der Front
eingesetzt werden.

Ukraine und Russland tauschen Kriegsgefangene aus - 180 insgesamt

Unterdessen haben die Ukraine und Russland bei einem weiteren Austausch von
Kriegsgefangenen jeweils 90 Soldaten wieder in ihre Heimat entlassen. "Unsere
Leute sind zuhause", teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im
sozialen Netzwerk X mit.

Es handelt sich demnach um Soldaten verschiedener Einheiten der
Streitkräfte, einige von ihnen haben auch in Mariupol gekämpft, bevor der Russen
die Stadt einnahmen. Die Heimkehrer hätten in den Gebieten Cherson, Donezk,
Saporischschja und Luhansk gegen die russische Invasion gekämpft.

"Wir denken an all unsere Menschen in russischer Gefangenschaft. Wir setzen
unsere Arbeit fort, um alle herauszukommen", sagte Selenskyj. Er dankte wie das
russische Verteidigungsministerium in einer Mitteilung den Vereinigten
Arabischen Emiraten für die Rolle als Vermittler. Beide Seiten veröffentlichten
Video von den freigelassenen und glücklichen Soldaten.

90 russische Kriegsgefangene seien von der Ukraine übergeben worden, teilte
das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Die Männer seien mit militärischen
Transportflugzeugen nach Moskau gebracht worden für eine Behandlung und
Rehabilitation in medizinischen Einrichtungen.

Die Gespräche zum Austausch von Kriegsgefangen gehören zu den letzten noch
verbliebenen Kontakte zwischen den Konfliktparteien. Kremlchef Wladimir Putin,
der den Krieg vor mehr als zwei Jahren am 24. Februar 2022 begonnen hatte, gab
die Zahl der russischen Soldaten in ukrainischer Gefangenschaft Anfang des
Monats mit 1348 an. Die Zahl der ukrainischen Kriegsgefangenen auf russischer
Seite liege dagegen bei mehr als 6000, sagte er.

Selenskyj begrüßt erneut EU-Beitrittsverhandlungen

Auch in seiner abendlichen Videobotschaft sicherte Selenskyj einmal mehr zu, den Verbleib der ukrainischen Gefangenen aufzuklären und sie nach Hause zu
holen. In dem Video unterstrich er erneut, dass die Ukraine für eine Zukunft in
Europa kämpfe. Dazu begrüßte er wie schon in anderen Mitteilungen tagsüber am
Dienstag den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen. Das Land werde alles tun, um
die Voraussetzung für eine Aufnahme in die Europäische Union zu erfüllen.

Davor hatte er schon mit anderen Vertretern der ukrainischen Führung
ebenfalls in einem Video den Start der Verhandlungen gelobt. "Heute ist der Tag,
auf den wir alle lange und hart hingearbeitet haben - die gesamte Mannschaft der
Ukraine", sagte Selenskyj in der Aufnahme vor seinem Amtssitz in Kiew. Das Land
habe nun die definitive Gewissheit, ein vollwertiges Mitglied der EU zu werden.
Dabei erinnerte der Staatschef an die Unterzeichnung des Beitrittsgesuchs am
fünften Tag der russischen Invasion Ende Februar 2022. Mit Selenskyj waren
Regierungschef Denys Schmyhal und Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk auf
dem Video zu sehen.

"Viele haben gesagt, das ist nicht mehr als ein Traum", sagte Selenskyj.
Nach "Tausenden von Treffen und Telefonaten" habe Kiew jedoch die Bedingungen
für die Aufnahme der Gespräche dank der Entschlossenheit des ukrainischen Volkes
erfüllt. "Wir werden dieses Ziel - wie auch alle anderen unsere Ziele -
definitiv erreichen", sagte Ministerpräsident Schmyhal.

Parlamentspräsident Stefantschuk meinte, dass die Ukraine den Prozess in
Rekordzeit absolvieren werde. "Wir haben alle notwendigen Gesetze verabschiedet
und werden das auch weiter tun, damit die Ukraine nie wieder vom europäischen
Haus gelöst wird", unterstrich Stefantschuk. Der ukrainische Beitritt sorge für
eine stabile und sichere Zukunft Europas.

Die Ukraine hatte kurz nach dem russischen Überfall vor über zwei Jahren ein Beitrittsgesuch bei der Europäischen Union gestellt. Das osteuropäische Land
wurde bereits im Juni 2022 ein offizieller Beitrittskandidat; Ende 2023 empfahl
der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs die Aufnahme von
Beitrittsgesprächen. Die Ukraine gilt als ärmstes Land Europas, dessen Haushalt
schon jetzt zu einem großen Teil vom Ausland finanziert wird.

Wie lange es nach einem Start der Gespräche bis zum EU-Beitritt dauern
könnte, ist völlig offen. Theoretisch kann ein Beitrittskandidat auch nie
Mitglied werden. Bei der Ukraine gilt es derzeit so auch als ausgeschlossen,
dass sie vor dem Ende des russischen Angriffskriegs EU-Mitglied wird. Denn dann
könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand
einfordern - und die EU wäre Kriegspartei./nau/DP/zb

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