16.06.2024 13:54:01 - dpa-AFX: ROUNDUP: Israels Militär verkündet 'taktische Pause' im Süden Gazas

TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Das israelische Militär hat für seinen Einsatz im
südlichen Gazastreifen eine täglich mehrstündige und räumlich begrenzte
"taktische Pause" angekündigt. Dies soll mehr Hilfslieferungen in das
Küstengebiet ermöglichen. Die Entscheidung wurde nach Beratungen mit den
Vereinten Nationen und internationalen Organisationen getroffen, wie die
Streitkräfte am Sonntagmorgen mitteilten. Die Pause gilt demnach bereits bis auf
Weiteres zwischen 8 und 19 Uhr (7 bis 18 Uhr MESZ) entlang der Straße, die vom
Grenzübergang Kerem Schalom nach Norden führt. Bei Kämpfen in Rafah an der
Grenze zu Ägypten waren zuvor am Samstag nach Militärangaben acht israelische
Soldaten getötet worden.

Wegen der Kämpfe zwischen Israels Armee und der Hamas hatte das
Welternährungsprogramm (WFP) davor gewarnt, dass die Menschen im südlichen Teil
des von der islamistischen Terrororganisation beherrschten Gazastreifens schon
bald unter der gleichen katastrophalen Hunger-Lage leiden könnten wie jene in
den nördlichen Gebieten zuvor. "Die Situation im südlichen Gaza verschlechtert
sich rasch", sagte der stellvertretende WFP-Direktor Carl Skau am Freitag.

Eine Million Menschen seien aus Rafah an der Grenze zu Ägypten vertrieben
worden und bei brütender Sommerhitze in einem überfüllten Gebiet entlang des
Strandes eingepfercht. Im nördlichen Teil Gazas habe sich die Versorgung mit
Hilfsgütern zwar etwas verbessert, sagte Skau. Nachhaltig abgesichert sei die
Verteilung von Nahrungsmitteln aber nicht.

Das Palästinenserhilfswerk UNRWA teilte unterdessen mit, mehr als 50 000
Kinder im Gazastreifen müssten wegen akuter Mangelernährung behandelt werden.
Angesichts der nach wie vor bestehenden Beschränkungen für humanitäre Hilfe
seien die Menschen "weiter von einem verzweifelten Ausmaß des Hungers
betroffen".

Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas und anderer Palästinensergruppen
den Süden Israels überfallen, rund 1200 Menschen ermordet und weitere 250 als
Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Im Zuge des dadurch ausgelösten Krieges
wurden nach - unabhängig nicht überprüfbaren - Angaben der von der Hamas
kontrollierten Gesundheitsbehörden mehr als 37 000 Palästinenser getötet. Rund
vier Fünftel der Bevölkerung innerhalb des abgeriegelten Küstenstreifens haben
ihr Zuhause zurücklassen müssen.

Neue Massenkundgebungen in Israel

Bei Massenkundgebungen in Israel hatten am Samstag einmal mehr zehntausende
Menschen für die Freilassung der Geiseln und gegen die Regierung von
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu demonstriert. In Tel Aviv und anderen
Städten verlangten sie von Netanjahu, einem Ende der Kämpfe mit der Hamas als
Teil eines Abkommens zuzustimmen, dass die verschleppten Geiseln wieder zu ihren
Familien bringt, wie "Haaretz" berichtete. Nach Darstellung des Forums der
Geisel-Familien handelte es sich um den größten Protest seit Beginn des
Gaza-Kriegs im Oktober vergangenen Jahres.

In einer auf Video aufgezeichneten Rede sagte Andrey Kozlov, den die
israelische Armee zusammen mit drei weiteren Geiseln vor einer Woche bei einem
Großeinsatz aus der Gefangenschaft befreit hatte: "Für die Geiseln, die noch in
Gaza sind, gibt es nur eine einzige Lösung: einen Deal zwischen Israel und der
Hamas."

In Tel Aviv wurden laut der Zeitung "Times of Israel" zwölf Menschen
festgenommen. Die Polizei wirft ihnen demnach Verstöße gegen die öffentliche
Ordnung vor. Sie hätten unter anderem Straßen blockiert.

Mehrere israelische Soldaten getötet

Überschattet wurden die Kundgebungen vom Tod acht israelischer Soldaten in
Rafah. Militärangaben zufolge wurden sie am frühen Samstagmorgen Opfer einer
Explosion, als sie nach einem Einsatz im nordwestlichen Teil der Stadt in einem
Konvoi gepanzerter Fahrzeuge unterwegs waren. Noch sei unklar, ob die Explosion
von einer Panzerabwehrrakete oder einer Sprengfalle ausgelöst wurde, sagte
Armee-Sprecher Daniel Hagari. "Heute wurden wir ein weiteres Mal schmerzlich an
den Preis des Krieges erinnert." Bei Kämpfen in der Nacht zuvor hatten
israelischen Einheiten nach Armeeangaben 50 Milizionäre der Hamas getötet.

Israel will in Rafah nach eigenen Angaben eine der letzten Hochburgen der
Hamas und ihrer Verbündeten zerschlagen. Das Militär geht dort seit Anfang Mai
verstärkt mit Bodentruppen gegen die Hamas vor, will dies aber nur als
begrenzten Einsatz, nicht als großangelegte Offensive verstanden wissen.
Letzteres hatte US-Präsident Joe Biden zur "roten Linie" erklärt. Wegen der
vielen Toten und der katastrophalen humanitären Lage ist das Vorgehen Israels im
Gaza-Krieg international umstritten.

Wer für den Angriff auf den Konvoi verantwortlich ist, teilten die
Streitkräfte nicht mit. Über Telegram erklärten die Kassam-Brigade, der
bewaffnete Arm der Hamas, sie hätten "Fahrzeuge des Feindes" in Tal al-Sultan
aus dem Hinterhalt überfallen. Wie so oft im Verlauf der Kriegshandlungen ließen
sich weder die Angaben der israelischen Armee noch die der Gegenseite unabhängig
überprüfen.

Weiter Unklarheit bei Verhandlungen über ein Abkommen

Ein Abkommen über die Freilassung der verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Hamas - im Gegenzug für die Freilassung von Palästinensern in israelischen
Gefängnissen - scheint derzeit nicht in Reichweite. Vermutet wird, dass sich
noch rund 120 Geiseln in dem abgeschotteten Küstengebiet befinden. Wie viele von
ihnen noch am Leben sind, ist unklar.

Die Hamas verlangt als Voraussetzung für einen Geisel-Deal ein Ende des
Krieges oder zumindest eine Garantie dafür, dass Israel die Kampfhandlungen
einstellt. Netanjahus Regierung ist dazu nicht bereit. Ihr Ziel ist es, die bis
zum Kriegsbeginn unangefochten über den Gazastreifen herrschende
Terrororganisation militärisch zu zerschlagen und politisch zu entmachten. Katar
und die USA treten wie auch Ägypten als Vermittler auf, weil Israel und die
Hamas nicht direkt miteinander verhandeln./dg/DP/men

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