27.06.2024 15:32:44 - dpa-AFX: ROUNDUP: Kommt Bewegung bei Mehrwertsteuer für Fleisch?

COTTBUS (dpa-AFX) - Bundesagrarminister Cem Özdemir setzt sich für eine
leichte Anhebung der Mehrwertsteuer auf Fleisch ein, um den Umbau der
Tierhaltung zu höheren Standards zu finanzieren. Der Grünen-Politiker griff am
Donnerstag beim Deutschen Bauerntag in Cottbus einen Vorschlag des
Bauernverbands auf: "Ich bin bereit dazu." Es gehe darum, die Steuer nicht auf
den vollen Satz, aber um einige Punkte anzuheben. Zugleich solle die Politik
eine Vereinbarung treffen, "dass dieses Geld ausschließlich in der Tierhaltung
landet für den Umbau der Ställe, für höhere Haltungsformen". Von Verbraucher-
und Umweltschützern kam ein geteiltes Echo.

Für den Minister war es kein einfacher Termin. Denn auch Monate nach den
großen Bauernprotesten gegen das Ende von Diesel-Vergünstigungen köchelt Unmut
über die Agrarpolitik weiter. Özdemir nutzte die Gelegenheit für einen nächsten
Versuch, ein wichtiges Anliegen der Branche voranzubringen: Wie kann es
organisiert werden, dass Bauern auf Mehrkosten für mehr Tierschutz nicht alleine
sitzen bleiben? Als Anschub hat die Ampel eine Milliarde Euro für Schweinehalter
reserviert. Gesucht wird aber ein Dauermodell für die gesamte Tierhaltung -
bisher vergeblich.

Die Idee ist nicht neu

Schon seit 2020 liegt ein Konzept einer Kommission um Ex-Agrarminister
Jochen Borchert vor, das eine höhere Mehrwertsteuer oder eine Tierwohlabgabe auf
tierische Produkte vorschlägt. Inmitten der Bauernproteste im Winter versuchte
Özdemir, die Gunst der Stunde zu nutzen, und warb für einen "Tierwohlcent", der
auch kleiner ausfallen könnte als die von der Kommission angeregte Abgabe mit
einem denkbaren Aufschlag von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch. In der Koalition
prallte die Idee aber ab, da das FDP-geführte Finanzressort den Ball nicht
aufnahm.

Bauernpräsident Jochim Rukwied hatte noch kurz vor dem Bauerntag
durchblicken lassen, dass die Tierhalter davon "total enttäuscht" seien. "Der
Ball lag auf dem Elfmeterpunkt, und der Torwart lehnte am Pfosten. Aber bis
jetzt ist nicht wirklich etwas geschehen. Schon die Vorgängerregierung hätte den
Ball versenken können." Rukwied fügte hinzu, dass die Mehrwertsteuer von
ermäßigten sieben Prozent um zwei oder drei Punkte erhöht werden könnte - aber
nicht auf den vollen Satz von 19 Prozent, damit man auch mit kleinerem Einkommen
weiterhin Fleisch kaufen kann.

Özdemir sagte dazu in Cottbus: "Das ist ein kluger Vorschlag." Er verstehe
das als ein Kompromissangebot, hinter dem die ganze Branche stehe. "Wie wäre es,
wenn wir gemeinsam diesen Vorschlag annehmen im Bundestag, interfraktionell?",
sagte er etwa auch an die Adresse der Union. Das schaffe mehr Tierwohl, eine
wirtschaftliche Grundlage und stärke die Verbraucher. "Machen wir es endlich."

Gemischtes Echo auf Özdemirs Vorschlag

Die Verbraucherorganisation Foodwatch erklärte: "Mehrwertsteuer auf Fleisch
rauf, auf Obst und Gemüse runter: Das sollte Cem Özdemir jetzt anpacken." Eine
höhere Steuer auf Fleisch sei nicht nur gut für den Klima-, Tier- und
Umweltschutz, sondern auch zur Förderung einer gesunden Ernährung. Die
Umweltorganisation Greenpeace kritisierte dagegen: "Özdemir geht dem
Bauernverband auf den Leim." Ein weiterer Mehrwertsteuersatz für Fleisch wäre
ein fauler Kompromiss, das System würde nur noch unübersichtlicher. Klima- und
umweltschädliche tierische Produkte würden weiter subventioniert. Besser wäre
eine Steuerbefreiung für pflanzliche Produkte.

Inwiefern sich jetzt eine neue Dynamik ergibt, muss sich zeigen. Aus der FDP kamen zum Bauerntag zuvor schon Signale, dass Lebensmittel infolge der Inflation
bereits deutlich gestiegen seien und für die breite Bevölkerung bezahlbar
bleiben müssten.

Özdemir warb bei den Landwirten auch um Zuspruch für das Entlastungspaket,
das die Koalition nach Bauernprotesten nun rasch beschließen will. Erste
Entwürfe sollen an diesem Freitag in den Bundestag eingebracht werden. Der
Minister verteidigte vorgesehene strengere Tierschutzvorgaben gegen Kritik der
Branche. Er sagte aber einen Dialog bei Regelungen zu, die zu weniger chemischen
Pflanzenschutzmittel auf den Äckern führen sollen.

Ein studierter Landwirt als Regierungschef

In einem Punkt ging Özdemir auch auf Distanz zu Kanzler Olaf Scholz (SPD),
der am Vorabend beim Bauerntag aufkreuzte und sich eine Bratwurst schmecken
ließ. Beim Mindestlohn solle man die dafür zuständige Kommission machen lassen.
"Und kein Überbietungswettbewerb in der Politik, wer den höheren Mindestlohn
fordert", sagte Özdemir, ohne die SPD und Scholz zu nennen, der kürzlich eine
Anhebung auf 15 Euro befürwortet hatte.

Vorher war Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke dran und sagte den
"Kolleginnen und Kollegen" Unterstützung zu. Die Entscheidung zur Abschaffung
der Diesel-Vergünstigungen sei falsch. "Dabei bleibe ich auch", sagte Woidke und
traf den Nerv der Bauern in Cottbus. Der Diplom-Agraringenieur wurde auf einem
Hof in einem Dorf im Süden Brandenburgs groß. "Mit zehn Kühen, zehn bis 15
Schweinchen, Enten, Gänsen, 50 bis 60 Hühnern." Ein leicht abgewandeltes Zitat
des Königs Friedrich II. - genannt Alter Fritz - hatte er dann auch noch parat:
"Die Landwirtschaft ist die erste aller Künste, ohne sie gäbe es keine Dichter,
Philosophen, Ministerpräsidenten und
Bundeslandwirtschaftsminister."/sam/vr/DP/he

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