24.06.2024 17:08:32 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Ende ohne Freispruch - Cum-Ex-Prozess gegen Olearius eingestellt

BONN (dpa-AFX) - Auch ohne Freispruch hat der Hamburger Bankier Christian
Olearius den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Seit September hatte er
wegen des Vorwurfs der besonders schweren Steuerhinterziehung und eines
Steuerschadens von 280 Millionen Euro immer wieder auf der Anklagebank des
Bonner Landgerichts Platz nehmen müssen, am Montag kam sein letzter
Verhandlungstag: Die Vorsitzende Richterin Marion Slota-Haaf sprach ein
sogenanntes Einstellungsurteil und begründete dies mit dem schlechten
Gesundheitszustand des Angeklagten. Der habe diverse Herzerkrankungen und einen
hohen Blutdruck, bei einer Fortsetzung der Hauptversammlung wäre "mit großer
Wahrscheinlichkeit die Schädigung der Gesundheit zu befürchten", inklusive eines
Herzinfarkts.

Zuvor hatte das Gericht ein Gutachten eingeholt, dem zufolge Olearius pro
Verhandlungstag nur maximal 45 Minuten im Gerichtssaal sein sollte. Bei einem so
geringen Zeitkontingent könnte sich die Verhandlung aber noch drei Jahre
hinziehen, sagte Richterin Slota-Haaf. Auch dem Gericht sei aufgefallen, dass
Olearius während der Verhandlung der vergangenen Monate mehrfach in sich
zusammengefallen sei und abwesend gewirkt habe. "Es kann nicht mehr
ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte der bisherigen Hauptverhandlung
teilweise im verhandlungsunfähigen Zustand beigewohnt hat." Demzufolge müsste
die bereits getätigte Beweisaufnahme wiederholt werden, sagte Slota-Haaf. In der
Gesamtabwägung komme man zu dem Schluss, dass man das Verfahren einstellen
müsse.

Olearius wollte Freispruch

Für Olearius war die Tatsache, dass er die Reisen nach Bonn einstellen kann, eigentlich eine gute Nachricht - in Feierlaune dürfte der Banker aber nicht
gewesen sein. Er verließ nach außen unbeeindruckt und kommentarlos das Gericht.
Denn seine Verteidiger, zu denen der frühere CSU-Bundestagsabgeordnete Peter
Gauweiler gehörte, hatten mit einer Rechtskonstruktion versucht, trotz der
Einstellung noch einen Freispruch zu erwirken.

Hierbei stellten sie Olearius selbst als Opfer dar, der öffentlich
vorverurteilt worden sei und dessen Recht auf ein faires Verfahren gebrochen
worden sei. Die Vorsitzende Richterin erteilte dieser Argumentation aber eine
Abfuhr und stellte klar, dass ein Freispruch nicht in Betracht komme.

Kurz vor dem Urteil hatte sich Olearius am Montag noch mal selbst zu Wort
gemeldet und in knapp zehn Minuten erneut seine Unschuld beteuert. Er warf der
Staatsanwaltschaft vor, bei ihren Ermittlungen schwere Fehler gemacht zu haben
und auf einen Kronzeugen hereingefallen zu sein, der wahrheitswidrige Angaben
gemacht habe. "Zahlreiche Beweise belegen meine Unschuld", sagte Olearius und
wies darauf hin, dass er zusammen mit dem Co-Gesellschafter der Warburg-Bank 230
Millionen Euro an den Staat gezahlt habe - "und zwar im Wissen um unsere
Unschuld".

Vorerst keine Millionenzahlung

Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft hatten in Anbetracht der gesundheitlichen Verfassung des Angeklagten die Verfahrenseinstellung
beantragt. Die Ankläger wollten allerdings die Einziehung von 43 Millionen Euro
in einem nachfolgenden Einziehungsverfahren erwirken - sie wollten also, dass
Olearius noch zur Kasse gebeten wird. In so einem Verfahren geht es nur ums Geld
und nicht um die Schuldfrage, Olearius müsste auch nicht persönlich im Gericht
erscheinen. Das Gericht hatte diesen Antrag in der vergangenen Woche abgelehnt
und argumentiert, dass die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt bislang nicht
fertig ermittelt habe - dies sollte sie erst mal tun, bevor sie später ein neues
Einziehungsverfahren beantragen könnte.

Wegen dieser Ablehnung legte die Staatsanwaltschaft direkt nach dem Urteil
Revision ein. Das heißt, dass sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem
Sachverhalt wird beschäftigen müssen. Es ist zwar denkbar, dass der BGH das
Einstellungsurteil aufhebt und das Bonner Landgericht in einem neuen Verfahren
erneut verhandeln muss. Bis dahin würde es aber dauern. Und dass Olearius trotz
seiner Gesundheitsprobleme irgendwann erneut vor das Bonner Gericht kommen muss,
gilt letztlich als reine Theorie.

Verwirrspiel von Finanzakteuren

Bei Cum-Ex-Geschäfte bekamen Finanzakteure Steuern erstattet, die gar nicht
gezahlt worden waren - Aktien mit ("cum") und ohne ("ex") Dividendenanspruch
wurden in einem Verwirrspiel hin- und hergeschoben. Der Staat hatte dabei keinen
Überblick, ihm entstand dadurch ein zweistelliger Milliardenschaden. Die
Hochphase dieser Geschäfte war in den Jahren 2006 bis 2011. Im Jahr 2021 wertete
der Bundesgerichtshof Cum-Ex als Straftat.

Zu dem Steuerbetrug hat es am Bonner Landgericht seit 2020 bereits acht
Schuldsprüche gegeben, eine Vielzahl an Verfahren dürften in den kommenden
Jahren noch folgen. In dem nun eingestellten Verfahren musste sich zum ersten
Mal die Spitze eines Finanzinstituts vor Gericht Cum-Ex-Vorwürfen stellen.
Olearius war früher Chef der Privatbank M.M. Warburg und später ihr
Aufsichtsratsvorsitzender, inzwischen ist er nur noch Gesellschafter.

Verbindung zu Scholz

Olearius ist einer der bekanntesten Cum-Ex-Akteure. Sein Vorgehen schlug
auch in der Politik hohe Wellen. Denn aus Tagebucheinträgen von ihm ging hervor,
dass er sich 2016 und 2017 insgesamt dreimal mit dem späteren Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) getroffen hatte, als dieser noch Erster Bürgermeister von Hamburg
gewesen war. Der genaue Inhalt der Treffen ist unklar. Fakt ist aber, dass die
Finanzbehörde danach eine Steuerforderung fallen ließ und die Ansprüche nach
damaliger Rechtslage verjährten. Dass ein kausaler Zusammenhang bestand zwischen
den Scholz-Olearius-Treffen und der Behördenentscheidung, ist nicht erwiesen.
Scholz schließt eine Einflussnahme aus, beruft sich bei der Frage nach dem
genauen Inhalt der Gespräche aber auf Erinnerungslücken./wdw/DP/jha

--- Von Wolf von Dewitz, dpa ---

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