28.06.2024 06:26:17 - dpa-AFX: POLITIK/K- und Krah-Frage: AfD-Parteitag berät über Chefposten und Kurs

BERLIN/ESSEN (dpa-AFX) - Es klingt fast nach Strand und Sonnenuntergang,
doch langfristig geht es um die Macht in der AfD: "Ich möchte nicht auf ihn an
meiner Seite verzichten", sagte Co-Chefin Alice Weidel zuletzt bei "Welt" über
ihren Mitvorsitzenden Tino Chrupalla. Der wiederum schwärmte: "Mit Alice Weidel
ist ein Vertrauensverhältnis entstanden, das ich in der Politik so noch nicht
erlebt habe."

Das Chefduo stellt sich beim Parteitag der AfD an diesem Wochenende in Essen zur Wiederwahl. Die Chancen stehen gut. Aber es gibt auch einige, die lieber
heute als morgen auf Einzelspitze nur mit Alice Weidel umstellen würden.

Die rund 600 AfD-Delegierten treffen sich am Samstag und Sonntag in der
Grugahalle in Essen. Es wird auch um den missratenen Europa-Wahlkampf, den
Umgang mit Spitzenkandidat Maximilian Krah und die Außenpolitik gehen.
Bundesweit haben Gruppen unter dem Motto "AfD-Parteitag verhindern" zu Protesten
und Blockaden aufgerufen. Die Polizei ist im Großeinsatz. Die AfD wird vom
Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall
beobachtet.

Chef-Duo oder Einzelspitze

Die AfD kann nach ihrer Satzung von einem oder zwei Chefs geführt werden.
Vor der Wahl des Vorstands wird die Versammlungsleitung fragen, ob jemand den
Antrag auf Bildung einer Einzelspitze stellen will, wie ein Sprecher vorab
erläuterte. Dann würde darüber abgestimmt. Bisher hat sich keiner aus der
Deckung gewagt oder offen dafür getrommelt - "aber einer kommt immer", beschrieb
ein erfahrenes Parteimitglied seine Erwartungen. Dass die Einzelspitze bei
diesem Parteitag schon beschlossen wird, gilt zwar als unwahrscheinlich,
ausgeschlossen ist aber nichts.

Parteivize sieht keine Wechselstimmung

AfD-Vize Peter Boehringer sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Der
Bundesvorstand hat in einer wie immer bei der AfD sehr fordernden Umgebung
sicher auch Fehler gemacht." Eine Wechselstimmung für strukturelle Veränderungen
der Führung werde aber beim Parteitag sicher nicht vorherrschen, fügte er mit
Blick auf Umfragewerte und gestiegene Mitgliederzahlen der AfD hinzu. Fraglich
wäre auch, wie sinnvoll ein Führungswechsel wäre, so kurz vor den Landtagswahlen
in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, denen die AfD seit mehr als einem Jahr
entgegenfiebert. Gegenkandidaten gegen Chrupalla oder Weidel haben sich bisher
nicht gemeldet.

Knatsch droht trotzdem

Das bedeutet nicht, dass alles geschmeidig laufen wird. Das
Europawahlergebnis der AfD war mit 15,9 Prozent zwar klar besser als das vor
fünf Jahren, aber auch deutlich schlechter als noch zum Jahresbeginn erhofft.
Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus nach dem Potsdamer Treffen zu
sogenannter Remigration, die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht und die
Berichte über mögliche Russland- und China-Verbindungen des
AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah sowie Durchsuchungen wegen möglicher
prorussischer Geldflüsse bei Parteikollege Petr Bystron haben die AfD Punkte
gekostet. Das wird auch den Chefs angelastet. Interessant wird, ob und wie die
Parteispitze bei der Vorstandswahl dafür Federn lassen muss.

Die Krah-Frage

Manche hätten sich ein härteres Durchgreifen und mehr Führung von der Spitze gewünscht, andere dagegen deutlich mehr Rückendeckung für Krah. Er gilt als
Tiktok-König in der AfD, beansprucht die Erfolge bei jungen Wählern für sich und
polarisiert mit seiner provokanten Art auch in den eigenen Reihen. Der Graben
zwischen denen, die vielleicht noch auf etwas mehr Anpassung setzen, und denen,
die sich mehr Erfolg durch einen eher schrill-radikalen Krah-Stil versprechen,
dürfte beim Parteitag sichtbar werden.

Wegen Krah hatten andere europäische Rechtsparteien zuletzt sogar die
Zusammenarbeit mit der AfD im Europaparlament in Brüssel aufgekündigt, nachdem
der Sachse in einer italienischen Zeitung umstrittene Aussagen über die
nationalsozialistische SS gemacht hatte. Krah-Unterstützer machen sich nun in
einem Antrag zum Parteitag dafür stark, in Brüssel "keine faulen Kompromisse mit
anderen Parteien" einzugehen, und sprechen von Schmutzkampagnen gegen von der
Parteibasis gewählte Spitzenkandidaten.

Eine andere Gruppe von Delegierten will dagegen einen Antrag durchbringen,
nach dem AfD-Abgeordnete künftig parteiintern bestraft werden sollen, wenn sie
ohne Absprache mit der Parteispitze ausländischen Medien Interviews geben,
Auslandsreisen "mit politischem Bezug" machen oder sich dort öffentlich mit
Politikern treffen. Das dürfte sich auch darauf beziehen, dass es in der
Vergangenheit umstrittene Russland-Reisen und Auftritte von AfD-Politikern in
russischen Medien gab.

Die K-Frage

Auch wenn der Parteitag das aktuelle Spitzenduo Weidel/Chrupalla bestätigt,
langfristig dürfte sich die Macht zunehmend Richtung Alice Weidel verschieben.
Sie selbst hatte vor längerer Zeit die Idee einer Kanzlerkandidatur ins Spiel
gebracht. Zwar gibt es keine realistische Option auf die Kanzlerschaft, aber der
Anspruch, regieren zu wollen, soll damit untermauert werden - und dass Weidel
dann für den Bundestagswahlkampf 2025 auf den Schild gehoben würde, ist so gut
wie klar. Dass die Doppelspitze ein Auslaufmodell sein könnte, darauf deutet
auch ein Antrag hin, über den auf dem Parteitag abgestimmt wird: Bekommt er die
Mehrheit, würde es künftig in der AfD bei einer Einzelspitze auch einen
Generalsekretär geben. Weidel hat sich positiv zu dieser Idee geäußert.

Die R-Frage

Die AfD wird bei dem Treffen auch über ihre außenpolitische Ausrichtung
debattieren. Die Frage ist hier, ob die Verfechter einer Westbindung in der AfD
noch einen Resteinfluss haben, oder ob die Partei als Ganzes weiter in Richtung
Pro-Russland-Kurs rückt. Deutschland müsse sich stärker von der US-Außenpolitik
emanzipieren, heißt es etwa in einem Antrag, über den debattiert wird. Die AfD
verstehe sich als Friedenspartei, steht in einem anderen, in dem es auch heißt:
"Die Anerkennung von berechtigten Sicherheitsbedürfnissen ist dabei erkennbar in
deutschem Interesse." Russland wird hier zwar nicht explizit genannt. Moskau
betont aber immer wieder, der Westen müsse Russlands Sicherheitsbedürfnisse
ernst nehmen. In einem weiteren Antrag heißt es: "Zur Wahrheit gehört auch, dass
die Außenpolitik verschiedener westlicher Staaten der vergangenen Jahre die
Eskalation in der Ukraine begünstigt hat."/jr/DP/zb

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH