26.06.2024 16:56:29 - dpa-AFX: ROUNDUP: Unter den Bauern brodelt es immer noch

COTTBUS (dpa-AFX) - Unter den Landwirten brodelt es nach den großen
Traktor-Protesten zu Jahresbeginn weiter. Bauernpräsident Joachim Rukwied
verlangte von der Bundesregierung am Mittwoch Kurskorrekturen und zusätzliche
Erleichterungen. "Wir brauchen endlich eine Agrarpolitik für unsere Unternehmen
und nicht gegen unsere Unternehmen", sagte er zum Auftakt des Deutschen
Bauerntags in Cottbus. Ein Entlastungspaket der Koalition sei "lediglich ein
Päckchen und Lichtjahre entfernt von dem, was notwendig ist". Der Verband
forderte die Rücknahme geplanter Vorgaben beim Düngen und für
Pflanzenschutzmittel. An diesem Donnerstag kommt Bundesagrarminister Cem Özdemir
(Grüne) zum Bauerntag.

Rukwied machte deutlich, dass sich die Landwirte nach der wochenlangen
Protestwelle vor einigen Monaten mit gestärktem Selbstbewusstsein zu Wort
melden. Mit den Aktionen im Winter hätten die Bauern "gemeinsam das Land
gerockt" und die Ernährungssicherung und Zukunftsfragen der Landwirtschaft in
die Mitte der Gesellschaft gerückt. Dabei hätten sie auch unter Beweis gestellt,
dass sie zur Demokratie und zum gemeinsamen Europa stehen. Sogar aus Asien habe
man Anfragen bekommen, wie man Demonstrationen organisiert, berichtete Rukwied,
der von den Delegierten mit großer Mehrheit für weitere vier Jahre als Präsident
bestätigt wurde. Der 62-Jährige steht seit 2012 an der Spitze des Verbands.

Was den politischen Erfolg der Proteste angeht, machte Rukwied eine
Unterscheidung. Da ist zum einen die EU mit ihrem großen Markt, gemeinsamen
Regeln und der milliardenschweren Agrarfinanzierung. In Brüssel hätten die
europäischen Bauern bewirkt, dass sich die Agenda geändert habe, etwa mit
Lockerungen bei Umweltvorgaben zu Brachflächen. Und in Berlin? Da habe man
"offensichtlich die Botschaften nicht verstanden", wetterte Rukwied. "Den
agrarpolitischen Kompass hat die jetzige Bundesregierung bis dato nicht
gefunden."

Daran ändert auch ein Maßnahmenpaket nichts, das die Fraktionsspitzen von
SPD, Grünen und FDP noch kurz vor dem Bauerntag verkündeten. Nach der hellen
Empörung in der Branche über das Ende lange gewährter Steuervergünstigungen für
Agrardiesel hatte die Regierung andere Entlastungen versprochen und einigte sich
nun auf konkrete Punkte - von Erleichterungen bei der Verrechnung von Gewinnen
aus guten und schlechten Jahren bei der Steuer über weniger Bürokratie bis zu
einer stärkeren Stellung der Bauern in der Kette bis zum Handel. Ein Teil der
Maßnahmen soll wie zugesagt noch im Sommer besiegelt werden.

Rukwied sagte, damit endlich ein erster kleiner Schritt erfolge, habe man
signalisiert, diesen Weg mitgehen zu können. "Wenn die Politik aber jetzt
erwartet hat, dass wir Hurra schreien, dass wir sagen, Ihr habt es toll gemacht
- sorry, das können wir nicht." Für extra Unmut in der Branche sorgen geplante
weitere Vorgaben etwa auch in der Tierhaltung - zum Beispiel beim Kürzen der
Ringelschwänze von Ferkeln. Wenn das so komme, werde "dem letzten Schweinehalter
das Licht ausgeknipst", sagte Rukwied und verwies auf ein bereits starkes
Schrumpfen in vergangenen Jahren.

Der Bauernpräsident betonte zugleich, dass für die Landwirtschaft
Klimaschutz, Tierwohl und Artenvielfalt wichtige Leitplanken blieben. Erreicht
werden müsse das aber über Anreize und neue Technologien, nicht durch Verbote.
Rukwied beklagte, dass die Koalition weiterhin keine Beschlüsse für eine
dauerhafte Finanzierung des Umbaus der Tierhaltung zu höheren Standards zustande
gebracht hat. Er bekräftigte auch das Einverständnis dazu, dass die
Mehrwertsteuer auf Fleisch dafür von bisher ermäßigten sieben Prozent um zwei
oder drei Punkte erhöht werden könnte - aber nicht auf den vollen Satz von 19
Prozent, damit auch einkommensschwächere Familien weiterhin Fleisch und Wurst
kaufen könnten.

Der FDP-Agrarpolitiker Gero Hocker wies Branchenforderungen nach steigenden
Lebensmittelpreisen zurück. Sie seien infolge der Inflation bereits deutlich
gestiegen. "Hochwertige Lebensmittel müssen für die breite Bevölkerung bezahlbar
bleiben." Die Deutsche Umwelthilfe begrüßte, dass die Koalition eine
Besserstellung der Landwirte im Verhältnis zur Marktmacht der Supermärkte
anstrebe. Dass der Bauernverband bei nötigen Verbesserungen der Regeln zum
Tierschutz pauschal von "nicht praktikablen Vorgaben" spreche, werfe aber die
Frage auf, womit Agrarsubventionen auf Dauer zu rechtfertigen sind./sam/DP/jha

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