03.07.2024 13:35:59 - dpa-AFX: EM 2024/Empörung über Wolfsgruß-Jubel: 'Völlig inakzeptabel'

LEIPZIG (dpa-AFX) - Kritik von Menschenrechtlern, Empörung aus der deutschen
Politik - und eine drohende Strafe durch die UEFA: Mit seinem Wolfsgruß-Jubel
hat Merih Demiral die Feier des EM-Viertelfinaleinzugs der Türkei in eine
Debatte über Rechtsextremismus verwandelt. Weit nach Mitternacht versuchte der
Doppel-Torschütze im Leipziger Stadion die Geste als Zeichen seines
Nationalstolzes zu deuten - stand aber schon längst im Sturm der Entrüstung.

Das überraschende 2:1 über Österreich rückte ebenso wie die Vorfreude auf
den Stimmungskracher gegen die Niederlande mit unzähligen türkischen Fans in
Berlin schnell in den Hintergrund. "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten
haben in unseren Stadien nichts zu suchen", teilte Bundesinnenministerin Nancy
Faeser am Mittwochvormittag mit. "Die Fußball-Europameisterschaft als Plattform
für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel."

Demiral hatte im Achtelfinale gegen Österreich nach seinem zweiten Treffer
in Leipzig mit beiden Händen das Handzeichen und Symbol der "Grauen Wölfe"
geformt. Als "Graue Wölfe" werden die Anhänger der rechtsextremistischen
"Ülkücü-Bewegung" bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz
beobachtet wird. In der Türkei ist die ultranationalistische MHP ihre politische
Vertretung und Bündnispartnerin der islamisch-konservativen AKP von Präsident
Recep Tayyip Erdogan.

Forderungen nach konsequentem Handeln der UEFA

Die Europäische Fußball-Union leitete - deutlich schneller als bei anderen
Disziplinar-Vorkommnissen bei diesem Turnier - ein Untersuchungsverfahren gegen
den Verteidiger ein. Es gehe dabei um ein mutmaßlich unangemessenes Verhalten
des 26-Jährigen, teilte die UEFA am Mittwochvormittag mit. Sollte Demiral
bestraft werden, könnten ihm Folgen für das anstehende Viertelfinale drohen.

Noch vor dieser Stellungnahme waren bereits Forderungen nach konsequentem
Handeln des Dachverbands laut geworden. "Seit Jahren bekomme ich von Anhängern
der Grauen Wölfe, einer der größten rechtsextremen Gruppen in Deutschland,
Morddrohungen. Dass Merih Demiral hier den rechtsextremen Wolfsgruß zeigt, ist
eine Verhöhnung der Opfer", schrieb Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal bei X.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker rief die UEFA auf, das Zeigen des
Wolfsgrußes nicht zu dulden. Der türkische Exiljournalist und Autor Can Dündar
schrieb: "Glückwunsch, Merih! Mit einem einzigen Zeichen hast du die
100-prozentige Freude auf 5 Prozent verringert." Bundesagrarminister Cem Özdemir
urteilte: "Seine Botschaft ist rechtsextrem, steht für Terror, Faschismus."

Aus seinem Heimatland erhielt Demiral hingegen Rückendeckung. Der Chef der
ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, nannte die Einleitung des Verfahrens
durch die UEFA eine "Provokation". Bahceli bezeichnete die Ermittlungen als
"äußerst voreingenommen und falsch".

"Ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein"

Als überragender Spieler der Partie saß Demiral kurz vor ein Uhr am frühen
Mittwochmorgen auf dem Podium vor der internationalen Presse. Zweimal sollte er
seine Geste auf dem Rasen des Leipziger Stadions erklären. "Wie ich gefeiert
habe, hat etwas mit meiner türkischen Identität zu tun", sagte der Profi des
saudi-arabischen Clubs Al-Ahli. In Frankreich sind die "Grauen Wölfe" verboten,
in Österreich darf der Gruß nicht gezeigt werden.

Er habe Fans im Stadion gesehen, die diese Geste gezeigt hatten, sagte
Demiral. Es stecke "keine versteckte Botschaft" dahinter. "Wir sind alle Türken,
ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein und das ist der Sinn dieser Geste",
sagte er. Es werde hoffentlich noch mehr Gelegenheiten geben, diese Geste zu
zeigen.

Via X verbreitete Demiral noch vor der Pressekonferenz ein Foto des Jubels
und schrieb dazu: "Glücklich derjenige, der sich als Türke bezeichnet" - ein
berühmtes Zitat des Begründers der Republik Türkei, Kemal Atatürk. "Das zeigt,
dass er ein politisches Statement setzen will und den Fußball dafür
missbraucht", sagte der Autor Burak Yilmaz der "Sportschau" über das Verbreiten
des Fotos.

Mit Militärgruß salutiert

Demiral stand schon einmal im Fokus einer politischen Debatte. Bei einem
Spiel in Frankreich 2019 hatten viele türkische Nationalspieler mit dem
Militärgruß salutiert, um damit die türkischen Streitkräfte zu unterstützen, die
am Militäreinsatz gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien beteiligt sind. Damals
gab es einen kurzen Disput zwischen Demiral und Kaan Ayhan. Demiral soll den
damaligen Bundesliga-Profi dazu animiert haben, ebenfalls zu
salutieren./lü/DP/jha

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