05.07.2024 09:14:33 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Stichwahl im Iran: Reformkandidat gegen Hardliner

(Aktualisierung: nach Auftakt)

TEHERAN (dpa-AFX) - Im Iran läuft die Stichwahl um das Präsidentenamt. Rund
61 Millionen Menschen sind aufgerufen, zwischen dem im Land als gemäßigt
geltenden Politiker Massud Peseschkian und dem Hardliner Said Dschalili zu
wählen. Staatsoberhaupt und Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei eröffnete am
Morgen in Teheran die Wahl. Aus ihr soll der Nachfolger des bisherigen
Amtsinhabers Ebrahim Raisi hervorgehen, der bei einem Hubschrauberunglück ums
Leben kam.

Die Wahllokale sind bis 16.30 Uhr deutscher Zeit geöffnet, Verlängerung ist
möglich. Mit ersten Ergebnissen wird Samstag gerechnet.

Von insgesamt 80 Bewerbern hatte der sogenannte Wächterrat, ein mächtiges
islamisches Kontrollgremium, nur sechs als Kandidaten zugelassen. Zwei von ihnen
zogen sich zurück. Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im
Iran nicht das Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den
Religionsführer Chamenei.

Reformkandidat gegen Hardliner

Der Reformkandidat Peseschkian ist 69 Jahre alt und stammt aus dem
Nordwesten Irans. Im Wahlkampf warb der bisher eher unscheinbare Politiker für
neues Vertrauen zwischen Regierung und Volk, das nach gescheiterten
Reformversuchen, politischer Repression und einer Wirtschaftskrise von der
Politik maßlos enttäuscht ist. Wie viele Politiker des Reformlagers forderte er
eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen.

Im Wahlkampf kritisierte Peseschkian etwa die Internetzensur sowie das
repressive Vorgehen der Sittenwächter gegen Frauen, die in der Öffentlichkeit
gegen die Kopftuchpflicht verstoßen. Gleichzeitig bekundete der frühere
Gesundheitsminister seine Loyalität gegenüber Religionsführer Chamenei. In den
TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der
Reformen für notwendig hält. Kritiker halten ihm vor, dass er diese angesichts
einer Mehrheit von Hardlinern im Parlament gar nicht erst umsetzen könnte.

Dschalili auf der anderen Seite gehörte früh zum engsten Machtzirkel und
arbeitete im Büro des Religionsführers. Unter dem umstrittenen früheren
Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war Dschalili Chefunterhändler bei den
Atomverhandlungen. Der Hardliner genießt breite Unterstützung von radikalen und
loyalen Systemanhängern. Er gilt als eiserner Verfechter der Ideologie der
Islamischen Revolution im Iran.

Wenig Wahlstimmung, viel Frustration

Bei der ersten Runde am vergangenen Freitag erreichte die Wahlbeteiligung
nach offiziellen Daten mit rund 40 Prozent ein Rekordtief. Darin spiegelt sich
die große Enttäuschung vor allem der jungen Generation, die den Glauben an große
innenpolitische Veränderungen verloren hat. Der Tod der jungen Kurdin Jina Masa
Amini im Herbst 2022 entfachte landesweite Proteste gegen das islamische
Herrschaftssystem. Chamenei beklagte die niedrige Wahlbeteiligung, wies aber die
Lesart zurück, dass dies Ausdruck für die Ablehnung des politischen Systems sei.

Peseschkian kam vor einer Woche auf rund 10,4 Millionen (rund 42,5 Prozent), Dschalili auf 9,4 Millionen Stimmen (38,7 Prozent). Für den konservativen
Drittplatzierten, Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf, stimmten etwa
3,4 Millionen Landesbewohner. Er sprach dann Dschalili seine Unterstützung aus.
Damit geht das konservative Lager mit einem leichten Vorteil in die Runde.
Reformkandidat Peseschkian müsste für einen Sieg vor allem Nichtwähler
umstimmen.

Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979
republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht:
Das Kontrollgremium des Wächterrats prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung.
Eine grundsätzliche Kritik am System wird nicht geduldet, wie die
Niederschlagung von Protesten in den vergangenen Jahren zeigte./arb/DP/stk

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