10.07.2024 21:02:26 - dpa-AFX: VERMISCHTES/'Rust'-Prozess: Zwei Versionen zu Baldwins Todesschuss

SANTA FE (dpa-AFX) - Mit ernstem Blick und sichtbarer Anspannung folgt Alec
Baldwin dem Eröffnungsplädoyer seines Anwalts. Im Prozess gegen den
Hollywoodstar geht um die Frage, ob der 66-Jährige bei dem tödlichen Schuss auf
eine Kamerafrau am Filmset des Westerns "Rust" 2021 fahrlässig handelte und
deshalb ins Gefängnis muss. "Es wird in diesem Prozess keinen einzigen Zeugen
geben, nicht einen einzigen Beweisfetzen dafür, dass Alec wusste oder hätte
wissen können, dass die Waffe mit einer scharfen Patrone geladen war", betonte
Verteidiger Alex Spiro vor Gericht in Santa Fe (New Mexico).

"Schauspieler überprüfen die Waffen nicht, die Sicherheit wird von
speziellem Personal gewährleistet", führte der Anwalt gegenüber den zwölf
Geschworenen weiter aus. Der Tod von Kamerafrau Halyna Hutchins sei eine
Tragödie gewesen. Doch die Verantwortung dafür, dass Waffen bei Filmdrehs
ungefährlich sind, liege bei Waffenmeistern und anderen Angestellten.

Kein Schauspieler hätte jemals scharfe Munition aus einer Revolver-Requisite entfernt, so Spiro weiter. Alec Baldwin habe sich deshalb nichts zuschulden
kommen lassen, sondern lediglich seinen Job gemacht und geschauspielert. Zwölf
Geschworene sollen bei dem auf acht Verhandlungstage angelegten Verfahren
entscheiden. Baldwin hatte auf "nicht schuldig" plädiert. Ihm drohen bis zu 18
Monate Haft.

Lila Hemd und ernster Blick

Die Anklage geht auf einen Schuss-Vorfall am Set von "Rust" zurück. Am 21.
Oktober 2021 zückte Hauptdarsteller Baldwin bei Proben einen Revolver, wie im
Drehbuch vorgesehen. Doch statt harmloser Platzpatronen löste sich scharfe
Munition. Die Kugel traf Kamerafrau Hutchins (42) sowie dann den hinter ihr
stehenden Regisseur Joel Souza an der Schulter. Die Mutter eines damals
neunjährigen Sohnes starb kurz danach, Souza kam mit leichteren Verletzungen
davon.

Baldwin war auf den TV-Bildern aus dem Gerichtssaal mit ernstem
Gesichtsausdruck zu sehen. Er trug einen dunklen Anzug und Krawatte sowie ein
lilafarbenes Hemd und setzte zeitweise seine Brille auf, um in Dokumenten zu
lesen. Auch seine Ehefrau, Hilaria Baldwin (40), und einer seiner Brüder, der
Schauspieler Stephen Baldwin (58), waren anwesenden Journalisten zufolge im
Saal.

Staatsanwältin mit schweren Vorwürfen

Staatsanwältin Erlinda Johnson legte vor der Jury eine andere Version zur
Verantwortung Baldwins dar: "Die Beweise werden zeigen, dass derjenige, der mit
einer echten Waffe gespielt und die Grundregeln der Waffensicherheit verletzt
hat, der Angeklagte Alexander Baldwin ist". Er sei deshalb der fahrlässigen
Tötung schuldig.

Johnson beleuchtete in ihrem Eröffnungsplädoyer auch die Rolle der bereits
verurteilten Waffenmeisterin Hannah Gutierrez-Reed. Vielen Arbeitenden am Set
sei bewusst gewesen, dass Gutierrez-Reed wenig Erfahrung als Waffenmeisterin
gehabt habe. Trotzdem habe Baldwin "kein Mal, wenn er diese Waffe in der Hand
hatte, eine Sicherheitsüberprüfung" durchgeführt.

Der Schauspieler habe den Revolver zudem in vielen weiteren Fällen nicht
sachgemäß behandelt. Baldwin habe mit ihm beim Dreh auf Menschen gezeigt. "Sie
werden sehen, wie er seinen Finger auf den Abzug legte, obwohl sein Finger nicht
am Abzug sein sollte", so Johnson weiter zur Jury.

"Auf einem Filmset darf man den Abzug drücken"

Anwalt Spiro hielt dagegen: "Auf einem Filmset darf man den Abzug drücken."
Falls Baldwin dies - auch wenn er sich daran nicht erinnern kann - getan habe,
mache ihn das nicht schuldig. Sein Mandant habe nicht wissen können, dass die
Waffe mit einer scharfen Kugel geladen war, die es auf Sets eigentlich gar nicht
geben dürfe. Der Revolver sei dem Star aus Filmen wie "Jagd auf Roter Oktober"
und "Blue Jasmine" geprüft übergeben worden.

Nach den Eröffnungsplädoyers wurde am Mittwoch ein Polizist als erster Zeuge in dem Verfahren aufgerufen. Baldwin und die anderen Prozessteilnehmer bekamen
während der Befragung mehrere Videos gezeigt, die das Chaos und Verwirrung nach
dem Todesschuss zeigen. In einer besonders intensiven Aufnahme war zu sehen, wie
Menschen um das Leben Hutchins kämpfen, die leblos auf dem Boden liegt.

Früherer Schuldspruch gegen Waffenmeisterin

Den Prozess hat Richterin Mary Marlowe bis Mitte Juli angesetzt. Dabei sind
Kameras zugelassen - per Livestream wird das Verfahren der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Im Zeugenstand werden unter anderem Filmschaffende,
Ermittler und Waffenexperten erwartet. Ob Baldwin selbst aussagen wird, ist
bislang nicht bekannt.

In einem separaten Prozess war die Waffenmeisterin Gutierrez-Reed, die am
Set von "Rust" für Waffensicherheit zuständig war, bereits wegen fahrlässiger
Tötung schuldig gesprochen worden. Sie hatte die Waffe, die scharfe Munition
enthielt, geladen. Im April wurde sie zur Höchststrafe von 18 Monaten Haft
verurteilt./scb/DP/he

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