28.06.2024 06:35:12 - dpa-AFX: ROUNDUP: Sorge vor Kriegsausbruch im Libanon wächst - Die Nacht im Überblick

TEL AVIV/BEIRUT (dpa-AFX) - Die Sorge vor einem Kriegsausbruch zwischen
Israel und der proiranischen Hisbollah-Miliz im Libanon wächst. Sollte es im
Gaza-Krieg zwischen Israel und der mit der Hisbollah verbündeten Hamas zu keiner
Einigung auf eine Waffenruhe kommen, werde es in den nächsten Wochen
wahrscheinlich zur großangelegten militärischen Konfrontation zwischen Israel
und der Miliz kommen, berichtete das US-Portal "Politico" am Donnerstag unter
Berufung auf US-Geheimdienstinformationen. Die USA bereiteten sich für diesen
Fall bereits auf die Evakuierung ihrer Landsleute aus dem Libanon vor, zitierte
der US-Sender NBC mit den Plänen vertraute US-Quellen. Am Donnerstagabend habe
die Hisbollah rund 35 Raketen auf den Norden Israels abgefeuert, teilte die
israelische Armee mit. Die Schiiten-Miliz bezeichnete den Angriff als Antwort
auf die Tötung eines ihrer Kämpfer Stunden zuvor.

USA befürchten Eskalation

Das Pentagon habe ein zusätzliches Kriegsschiff sowie eine
Marineexpeditionseinheit zur Verstärkung der US-Truppen in der Region ins
Mittelmeer verlegen lassen, in Vorbereitung auf eine mögliche Evakuierung von
amerikanischen Landsleuten, berichtete NBC weiter. Der Schritt diene auch zur
Abschreckung, um eine Eskalation des Konflikts zu verhindern, hieß es. US-Beamte
seien zunehmend besorgt, dass Israel in den kommenden Wochen verstärkt
Luftangriffe und sogar eine Bodenoffensive im Libanon durchführen könnte, hieß
es.

"Die Logik von (Hisbollah-Chef Hassan) Nasrallah ist, dass alles mit dem
Gazastreifen zusammenhängt und dass der Beschuss Israels nicht aufhören wird,
solange es keinen Waffenstillstand im Gazastreifen gibt", zitierte das "Wall
Street Journal" einen ranghohen US-Beamten. Man lehne diese Logik ab. Die
Hisbollah hat ihre Raketen- und Drohnenangriffe zuletzt verstärkt und damit den
Druck auf die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu
erhöht. Dieser steht auch im eigenen Land unter zunehmendem Druck.

Druck auf Netanjahu wächst

Rund 2000 Menschen protestierten am Donnerstagabend vor Netanjahus privater
Villa in Caesarea bei Tel Aviv und verlangten Schritte zur Freilassung der von
der Hamas im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln sowie den Rücktritt des
Regierungschefs, wie das Nachrichtenportal "ynet" berichtete. Sie riefen demnach
Parolen wie "Wie viel Blut wird noch vergossen, bevor du gehst" und "Bring die
Geiseln jetzt zurück - und geh!". Die islamistische Hamas und andere
extremistische Gruppen hatten am 7. Oktober des Vorjahres den Süden Israels
überfallen, mehr als 1200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln
verschleppt.

Es werden noch 120 Menschen in der Gewalt der Terroristen vermutet. Das
"Wall Street Journal" berichtete, dass die Zahl der noch lebenden Geiseln bei
nur 50 liegen könnte. Die indirekten Verhandlungen, bei denen die USA, Ägypten
und Katar vermitteln, stecken jedoch in einer Sackgasse. Kritiker werfen
Netanjahu vor, einen Deal nicht ernsthaft anzustreben, um seine ultra-religiösen
und rechtsextremen Koalitionspartner nicht vor den Kopf zu stoßen. Von ihnen
hängt sein politisches Überleben ab. Netanjahu macht die aus seiner Sicht
unnachgiebige Haltung der Hamas für das Stocken der Verhandlungen
verantwortlich.

Verheerende Zerstörungen im Libanon-Konflikt

Währenddessen kommt es seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast neun Monaten
täglich zu Schusswechseln zwischen Israels Armee und der Hisbollah im
Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon. Zuletzt haben sich die Gefechte
deutlich zugespitzt. Auf beiden Seiten gab es Tote. Am Donnerstag tötete Israels
Luftwaffe nach eigenen Angaben drei Kämpfer der Hisbollah. Daraufhin schoss die
Miliz Dutzende Raketen auf den Norden Israels ab. Die meisten Geschosse wurden
laut Israels Armee abgefangen. Niemand sei verletzt worden.

In Ortschaften beiderseits der Grenze hat der gegenseitige Beschuss schwere
Zerstörungen angerichtet. Rund 150 000 Menschen wurden evakuiert oder verließen
die Kampfzone. Nach Informationen der "Financial Times" hat Israels Militär
weite Teile des Südlibanon verwüstet und "eine neue Realität" geschaffen. An der
Grenze seien ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht und Ackerland
zerstört worden, berichtete die Zeitung am Donnerstag unter Berufung auf
Satellitenbilder, Regierungsstatistiken und Gespräche mit lokalen Beamten.
Nahezu tägliches Bombardement aus der Luft und Artilleriebeschuss hätten einen
Großteil der fünf Kilometer nördlich der Blauen Linie gelegenen Gebiete
unbewohnbar gemacht.

Israel drängt auf Rückzug der Hisbollah

Bei der Blauen Linie handelt es sich um die von den Vereinten Nationen
gezogene Demarkationslinie an der Grenze zwischen den beiden Ländern. Mit Ende
des zweiten Libanon-Krieges 2006 war eine Pufferzone im Süden des Libanons
eingerichtet worden. Die UN-Resolution 1701 verbot den Einsatz der
Hisbollah-Miliz südlich des Litani-Flusses, dem Grenzgebiet zu Israel. Die
israelischen Truppen wiederum mussten sich hinter die Blaue Linie zurückziehen.
Israel fordert denn auch den Rückzug der Hisbollah-Miliz gemäß der UN-Resolution
nördlich des Litani-Flusses, der etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt
liegt.

Die UN-Beobachtermission Unifil, die seit 1978 das Grenzgebiet zwischen
Israel und dem Libanon überwacht, hatte sich kürzlich äußerst besorgt gezeigt ob
der zunehmenden Spannungen. Auch die Bundeswehr ist an dem Unifil-Einsatz mit
bis zu 300 Soldaten beteiligt. Der Bundestag verlängerte am Donnerstag das
Mandat für die UN-Mission. Man habe kein Problem damit, dass sich
UN-Friedenstruppen, libanesische Streitkräfte oder Zivilisten dort aufhalten,
aber man müsse das Gebiet von der Präsenz der Hisbollah "säubern", zitierte die
"Financial Times" einen ranghohen israelischen Militärbeamter.

Hisbollah und Israel warnen sich gegenseitig

Die vom Iran unterstützte Hisbollah ist nicht nur die stärkste militärische
und politische Kraft im Libanon, sondern kontrolliert auch den Süden des Landes.
"Uns zu bitten, uns aus dem Süden zurückzuziehen, ist so, als würde man einen
Fisch bitten, nicht im Meer zu schwimmen", zitierte die Zeitung einen namentlich
nicht genannten Hisbollah-Kämpfer. Die Miliz ist mit der Hamas verbündet, gilt
aber als deutlich schlagkräftiger. "Wenn sie (die Israelis) dem Libanon einen
Krieg aufzwingen, wird der Widerstand ohne Einschränkungen, Regeln und Grenzen
zurückschlagen", warnte Hisbollah-Chef Nasrallah zuletzt erneut.

Israels Verteidigungsminister Joav Galant warnte wiederum bei einem Besuch
in Washington diese Woche, sein Land sei in der Lage, den Libanon in einem Krieg
mit der Hisbollah "in die Steinzeit zurückzuschicken", wie die "Times of Israel"
berichtete. Zugleich betonte Galant jedoch, dass eine diplomatische Lösung
vorzuziehen sei. "Wir wollen keinen Krieg, aber wir bereiten uns auf jedes
Szenario vor", wurde Galant weiter zitiert. Man werde keine Hisbollah-Truppen an
der Grenze akzeptieren. Es wird befürchtet, dass ein Krieg sich zu einem
regionalen Konflikt ausweiten könnte, in den auch die USA hineingezogen würden.
Die USA schlossen sich am Donnerstag einer länger werdenden Liste von Ländern -
darunter auch Deutschland - an, die ihren Bürgern raten, den Libanon wegen der
Kriegsgefahr zu verlassen./ln/DP/zb

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH