23.06.2024 17:21:40 - dpa-AFX: ROUNDUP/CSU: Ukraine-Flüchtlinge ohne Job zurückschicken

BERLIN (dpa-AFX) - Die CSU fordert, Kriegsflüchtlinge in die Ukraine
zurückzuschicken, wenn sie in Deutschland keine Arbeit annehmen. "Es muss jetzt
über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in
Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine", sagte der
CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, der "Bild am Sonntag".
Von SPD und Grünen kam Protest, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) teilte die
Sicht auf das Problem. Ein Zurückschicken wäre laut Bundesinnenministerium nicht
ohne weiteres möglich.

Mit dem Vorstoß verschärfte sich die Debatte um Sozialleistungen für
Geflüchtete in Deutschland und die Kosten dafür weiter. Kriegsflüchtlinge aus
der Ukraine können seit Juni 2022 Leistungen der Grundsicherung (heute
Bürgergeld) erhalten - anstelle der geringeren Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz. Darauf hatten sich Bund und Länder damals
verständigt. Begründet wurde die Änderung auch damit, dass Flüchtlinge aus der
Ukraine direkt Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben und keine Entscheidung
wie bei Asylbewerbern abwarten müssten.

Dobrindt sagte, das Bürgergeld sei zu Beginn des russischen Angriffskrieges
als schnelle Hilfe gedacht gewesen, aber längst zu einer Arbeitsbremse geworden.
Es halte zu viele Menschen aus der Ukraine in der Sozialhilfe fest. "Wir
brauchen stärkere Mitwirkungspflichten für Asylbewerber, wenn es um die
Arbeitsaufnahme geht. Es muss ein Angebot auf Arbeit geben, und dieses muss Teil
einer Integrationsleistung sein."

Scharfe Kritik aus der Ampel-Koalition

SPD und Grüne reagierten empört. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte der
"Bild am Sonntag", Russlands Präsident Wladimir Putin lasse Ziele in der
gesamten Ukraine bombardieren. "Hierhin will Dobrindt jetzt auch Frauen und
Kinder zurückschicken, die möglicherweise ihren Vater bereits an der Front
verloren haben. Die CSU sollte sich schämen ob solcher Forderungen und das C für
christlich endgültig aus ihrem Namen streichen."

Grünen-Chef Omid Nouripour sagte: "Die Unterstellung, die Ukrainer kämen
wegen des Bürgergelds zu uns, verkennt das Grauen des Krieges Putins."
Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch sagte der "Welt", Dobrindt schüre
Vorurteile gegen Ukrainer und mache so "das Geschäft Moskaus in Deutschland".

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sagte dagegen der "Welt": "Wer unseren Schutz
in Anspruch nimmt, von dem kann man auch erwarten, dass er mit eigener Arbeit
dazu beiträgt, die Kosten zu minimieren." Es empöre Bürger zu Recht, wenn in
Dänemark mehr als 80 Prozent der Ukrainer arbeiteten, während es hierzulande ein
Viertel sei. Entscheidend sei aber die Frage von Krieg und Frieden: "Sobald die
Waffen schweigen, sollten die Menschen natürlich in ihre Heimat zurückkehren."

187 000 ukrainische Flüchtlinge in Arbeit

Der Schutzstatus für Ukraine-Flüchtlinge in der EU war erst kürzlich
verlängert worden, wie das Bundesinnenministerium auf Anfrage erläuterte. In
Deutschland erhalten sie dadurch eine Aufenthaltserlaubnis, die auch einen
unmittelbaren und uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht. Eine
Ausreisepflicht entstünde nur bei Wegfall des Aufenthaltstitels, sagte ein
Sprecher. Das erforderte aber erst einen Beschluss auf EU-Ebene, den temporären
Schutz zu beenden.

Anspruch auf Bürgergeld haben geflüchtete Ukrainer nur, wenn sie kein oder
nur ein geringes Einkommen haben. Im Herbst hatte die Bundesregierung einen
"Job-Turbo" angekündigt, um Geflüchteten mit Bleibeperspektive eine schnellere
Vermittlung in Arbeit zu ermöglichen. Laut Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)
konnten inzwischen 187 000 in einen sozialversicherungspflichtigen Job gebracht
werden. "Mein Ziel ist klar, dass wir diejenigen, die als Geflüchtete im
Bürgergeld sind, nicht nur die ukrainischen Geflüchteten, besser und schnell in
Arbeit bringen müssen", sagte er im Deutschlandfunk vor Bekanntwerden von
Dobrindts Vorstoß.

Angespannte Lage im Westen der Ukraine

Ungewiss blieb zunächst, inwiefern es in der West-Ukraine "sichere Gebiete"
geben könnte, die der CSU-Politiker für Zurückweisungen ins Gespräch brachte.
Aktive Kämpfe gibt es in der West-Ukraine nicht. Von der Front im Gebiet Charkiw
ist die Großstadt Lwiw mehr als 800 Kilometer entfernt. Als sicher lässt sich
die Region aber nur im Vergleich zum Osten und Süden des Landes bezeichnen, wo
Drohnen, Raketenangriffe und in Frontnähe Artilleriebeschuss praktisch zum
Alltag gehören.

Millionen Binnenflüchtlinge sind aus dem Osten der Ukraine in sicherere
Landesteile geflüchtet. Doch auch dort schlagen in gewissen Abständen
weitreichende Raketen des russischen Militärs ein. Sie zielen meist auf Anlagen
der Energieversorgung und richteten schon gewaltige Schäden an. Mit den
Angriffen auf Kraftwerke ist dabei landesweit keine stabile Stromversorgung mehr
gesichert.

Seit Kriegsbeginn sind mehr als 1,1 Millionen Ukrainer gekommen und halten
sich aktuell in Deutschland auf. Darunter sind 351 000 Kinder und Jugendliche
unter 18 Jahren, die meisten im Grundschulalter, wie es aus dem
Bundesinnenministerium hieß. Unter den Erwachsenen sind 64 Prozent Frauen.
Ressortchefin Nancy Faeser (SPD) hatte deutlich gemacht: "Wir müssen weiter die
Leben vieler Menschen schützen, die vor Putins barbarischem Krieg fliehen
mussten." Deutschland habe mit Polen und Tschechien aber mehr als die Hälfte
aller Flüchtlinge aufgenommen, was ein Kraftakt etwa für Unterbringung, Schulen
und die Arbeitsmarktintegration sei. Man müsse daher zu einer faireren
Verteilung in der Europäischen Union kommen.

Der SPD-Arbeitsmarktpolitiker Martin Rosemann sagte der "Bild am Sonntag",
Hürden für ukrainische Geflüchtete beim Start ins Arbeitsleben lägen in
fehlender Kinderbetreuung, mangelnden Sprachkenntnissen und einer langwierigen
Anerkennung von Berufsabschlüssen. Den Vorschlag, sie aus dem Bürgergeld ins
Asylverfahren zu lenken, nannte er "populistischen Unsinn"./sam/bal/wn/DP/he

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