30.06.2024 14:37:38 - dpa-AFX: HINTERGRUND: 'Ehe von Thron und Altar'? Das Ringen um die Staatsleistungen

MÜNCHEN/BERLIN (dpa-AFX) - Soviel Einmütigkeit ist selten im Deutschen
Bundestag: Die staatlichen Millionenzahlungen an die großen Kirchen in
Deutschland sind in einer Zeit, in der Hunderttausende pro Jahr den
Institutionen den Rücken zukehren, nur noch schwer vermittelbar. So lautet die
weitgehend einhellige Meinung in den Fraktionen der Regierungsparteien SPD,
Grüne, FDP - und in der Opposition bei Unionsfraktion und AfD.

Staatsleistungen für die Enteignung von Kirchen und Klöstern

Die Kirchen in Deutschland bekommen die Staatsleistungen für die Enteignung
deutscher Kirchen und Klöster Anfang des 19. Jahrhunderts im Rahmen der
Säkularisierung. Außer Hamburg und Bremen zahlen deshalb alle Bundesländer eine
jährliche Summe an die katholische und die evangelische Kirche. Das ist über
jeweilige Verträge - wie beispielsweise das bayerische Konkordat - geregelt.
Zuletzt waren es bundesweit insgesamt rund 550 Millionen Euro pro Jahr.

Durch diese Staatsleistungen zahlen auch diejenigen Steuerzahler für
Glaubensgemeinschaften, die damit gar nichts zu tun haben - und das werden Jahr
für Jahr mehr. In der vergangenen Woche erst zeigte sich so mancher Bischof
erleichtert darüber, dass 2023 "nur" rund 400 000 Menschen aus der katholischen
Kirche ausgetreten sind - und nicht wieder mehr als eine halbe Million wie im
Jahr davor. Im Raum steht daher eine "Ablösung" der jährlichen Zahlungen durch
eine Milliardensumme. Doch das genaue Vorgehen sorgt für Kopfzerbrechen.

Ablösung von Geldzahlungen an die Kirchen ist Verfassungsauftrag

Obwohl auch die Kirchen sich einer Ablösung nicht verschließen, geht es
daher mit dem Vorhaben der Bundesregierung, Staat und Kirche finanziell zu
entzerren - ein Verfassungsauftrag - nicht so wirklich voran. Das
Bundesinnenministerium hatte 2022 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die nach
Angaben eines Ministeriumssprechers bis Januar 2023 regelmäßig tagte - also
schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr. "Die zentralen Fragen der Ablösung,
unter anderem die Frage der Höhe des Ablösebetrags, werden weiterhin auf
politischer Ebene erörtert", sagt der Sprecher.

Das Problem: In den Bundesländern regt sich teils massiver Widerstand.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte erst kürzlich -
passenderweise bei einer Feierstunde zum 100. Geburtstag des bayerischen
Konkordats - die Diskussion um die Staatsleistungen komplett zu beenden. Er
wolle, "dass das endgültig auf Eis gelegt wird", so Söder. Das sähen auch die
meisten seiner Ministerpräsidentenkollegen so.

Söder befürchtet "Kulturkampf"

Söder befürchte einen "Kulturkampf", wenn es eine Milliardenzahlung an die
großen Kirchen in Deutschland geben sollte. "Es würde eine unglaubliche
Neiddiskussion losgehen." Außerdem könnten sich die meisten Bundesländer - außer
Bayern - einen anteiligen Betrag in dieser Größenordnung gar nicht leisten.

Bayern und Baden-Württemberg zahlen derzeit nach Angaben des
Kirchenrechtlers Thomas Schüller regelmäßig die höchsten Staatsleistungen an
beide Kirchen. "Wichtig ist, dass der Bund die Leistungsfähigkeit der Länder bei
der Festlegung der Höhe berücksichtigt", heißt es aus Baden-Württemberg zur
Ablösesumme. Auch in anderen Bundesländern ist man - vorsichtig ausgedrückt -
skeptisch, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur zeigt.

"Kein konsensfähiges Ablöse-Modell"

"Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich in der Vergangenheit mit dem
Vorhaben befasst und steht ihm kritisch gegenüber", heißt es beispielsweise aus
Brandenburg. "Bislang ist kein für alle Beteiligten konsensfähiges Ablöse-Modell
bekannt", teilt ein Sprecher des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und
Kultur des Landes Brandenburg mit. Und: "Die Ablösung durch die Aufbringung
eines Entschädigungsbetrages - sei es als Einmalzahlung, sei es in Raten - wäre
gegenwärtig angesichts multipler Krisen und ihrer finanziellen Auswirkungen kaum
umsetzbar."

Aus Nordrhein-Westfalen heißt es: "Angesichts der finanziellen und
gesellschaftlichen Dimension des Vorhabens sowie anderweitiger akuter
Herausforderungen besteht im Länderkreis nach wie vor Einvernehmen, dass noch
viele Fragen zu klären sind, bevor Gespräche für eine Verständigung in den Blick
genommen werden können."

In Thüringen klingt es so: "Alle Modelle in diese Richtung sind mit enormen
Mehrausgaben auf Seiten der Länder verbunden. Das verfassungsrechtliche Ziel der
Ablösung der Staatsleistungen kollidiert nicht zuletzt mit der Schuldenbremse im
Grundgesetz."

"Im Moment verweisen mehrere Länder darauf, dass sie nicht genug Geld haben, um die Kirchen auszuzahlen. Dieses Thema hat auch bundesweit sicherlich ein
gewisses antikirchliches Verhetzungspotential", sagt der religionspolitische
Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Thomas Rachel (CDU), und spricht von
einer "Planlosigkeit der Ampel bei ihrem Vorhaben, die Staatsleistungen
abzulösen".

FDP-Appell an Bundesländer

Die religionspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sandra
Bubendorfer-Licht, appellierte "an die Länder und an die Ministerpräsidenten,
die sich in der Vergangenheit unter Berufung auf fadenscheinige Argumente gegen
den Prozess ausgesprochen haben, sich der Ablösung nicht länger zu verweigern".
Sie betonte: "Die Bürger können aus guten Gründen nicht mehr verstehen, warum
die Kirchen aus allgemeinen Steuermitteln auch von Konfessionslosen und
Anhängern anderer Religionen weiterhin diese Zahlungen erhalten sollen."

Der religionskritische "Bund für Geistesfreiheit" (bfg) München hatte erst
kürzlich - zum Jubiläum des bayerischen Konkordats - von einer "Ehe von "Thron
und Altar"" gesprochen, "die seit 100 Jahren der katholischen Kirche Privilegien
gewährt und sichert, die weltweit einmalig sind"./bsj/DP/nas

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