22.05.2024 15:53:14 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Staat Palästina? Oslo, Dublin und Madrid preschen vor

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OSLO/DUBLIN/MADRID (dpa-AFX) - Norwegen sowie die beiden EU-Länder Irland
und Spanien haben angekündigt, Palästina als eigenen Staat anzuerkennen. Der
Schritt soll am 28. Mai formell vollzogen werden, teilten der norwegische
Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, Irlands Premierminister Simon Harris und der
spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez am Mittwochmorgen in Oslo, Dublin und
Madrid mit. Die drei Länder erhoffen sich dadurch einen Impuls für die
sogenannte Zweistaatenlösung, wonach Israelis und Palästinenser in Zukunft
friedlich nebeneinander leben sollen.

Israel kritisierte den Vorstoß scharf und rief umgehend seine Botschafter
aus den drei Ländern zurück. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO)
begrüßte den Schritt hingegen. PLO-Generalsekretär Hussein al-Scheich sprach von
einem "historischen Moment".

Die Bundesregierung will daran festhalten, dass die Akzeptanz eines
palästinensischen Staats erst am Ende von Verhandlungen zwischen Israel und
Palästinensern über eine Zweistaatenlösung stehen kann. Einer solchen
Zweistaatenlösung sei man im Augenblick allerdings fern, sagte
Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. Der Botschafter der
Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, forderte die
Bundesregierung auf, dem Beispiel Norwegens, Irlands und Spaniens zu folgen.

Unterstützung für Zweistaatenlösung

Die Anerkennung sei "Ausdruck einer uneingeschränkten Unterstützung für eine Zweistaatenlösung, des einzig glaubwürdigen Wegs zu Frieden und Sicherheit für
Israel, Palästina und deren Völker", sagte der irische Regierungschef Harris.
Der Schritt könne dazu beitragen, dass der Prozess hin zu einer
Zweistaatenlösung endlich wieder in Gang komme, sagte Norwegens
Ministerpräsident Støre.

Die islamistische Hamas, die noch immer Teile des Gazastreifens
kontrolliert, lehnt eine Zweistaatenlösung kategorisch ab. Auch Israels
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte sie zuletzt für obsolet. Die PLO,
die im Westjordanland die Autonomiebehörde dominiert, befürwortet den Plan. Die
PLO hatte bereits 1988 einseitig die staatliche Unabhängigkeit Palästinas
erklärt.

Premier Harris betonte, Dublin erkenne uneingeschränkt auch das Recht
Israels an, in Sicherheit und Frieden mit seinen Nachbarn zu existieren. Irland
verurteile das von der Hamas am 7. Oktober angerichtete "barbarische Massaker"
und fordere die sofortige Freilassung aller Geiseln. Der Regierungschef fügte
jedoch hinzu: "Die Hamas ist nicht das palästinensische Volk." Er erinnerte an
die Bedeutung der internationalen Anerkennung Irlands als unabhängigen Staat bei
dessen Ablösung vom Britischen Empire.

Israel ruft Botschafter aus Oslo, Dublin und Madrid zurück

Israel lehnt eine Anerkennung Palästinas strikt ab und rief umgehend seine
Botschafter aus Irland, Norwegen und Spanien zu Beratungen zurück. Er sende eine
klare und unmissverständliche Botschaft, schrieb Außenminister Israel Katz auf
X: "Israel wird angesichts derjenigen, die seine Souveränität untergraben und
seine Sicherheit gefährden, nicht schweigen." Nach Angaben des Außenministeriums
wurden zudem die Botschafter der drei Länder zu einer "ernsten Ermahnung"
einbestellt.

"Die heutige Entscheidung sendet eine Botschaft an die Palästinenser und die Welt: Terrorismus zahlt sich aus", so Katz. Dieser Schritt sei eine
Ungerechtigkeit gegenüber dem Andenken der Opfer des 7. Oktober, als die
islamistische Hamas mit ihrem Terrorangriff in Israel ein Massaker mit mehr als
1200 Getöteten verübte. "Israel wird nicht schweigen - es wird weitere
schwerwiegende Folgen haben", schrieb Katz.

Auch Deutschland setzt sich für Zweistaatenlösung ein

Die Mehrheit der Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen erkennt Palästina
inzwischen als Staat an. Das gilt jedoch nicht für die wichtigsten westlichen
Nationen wie die USA und Großbritannien sowie die Mehrzahl der EU-Staaten,
darunter Deutschland und Frankreich.

Eine Anerkennung gilt als wichtiger Anreiz für die palästinensische Seite,
bei Friedensverhandlungen Zugeständnisse zu machen. Kritiker einer Anerkennung
bemängeln, den Palästinensergebieten fehle es an wichtigen Kriterien für einen
solchen Schritt. Beispielsweise ist die Grenze zwischen Israel und den
Palästinensern weiter strittig. Das gilt auch für den politischen Status von
Ost-Jerusalem.

Schweden hatte Palästina bereits vor zehn Jahren als Staat anerkannt.
Großbritanniens Außenminister David Cameron deutete kürzlich an, dass auch
London eine vorgezogene Anerkennung Palästinas erwägen könne, um einen Anreiz
für diejenigen Palästinenser zu setzen, die eine friedliche Lösung befürworten.
Wie eine Umfrage des palästinensischen Umfrageinstituts PSR in Zusammenarbeit
mit der Konrad-Adenauer-Stiftung kürzlich ergab, glauben jedoch 61 Prozent der
Palästinenser aufgrund des israelischen Siedlungsbaus nicht mehr daran, dass die
Einrichtung eines palästinensischen Staats noch möglich ist.

Warum kommt Anerkennung Palästinas jetzt?

Seit den Friedensbemühungen mit den Osloer Verträgen vor etwas mehr als 30
Jahren hätten Norwegen und viele andere Länder versucht, eine Strategie zu
verfolgen, bei der die Anerkennung einer Friedenslösung folgen würde, sagte
Norwegens Regierungschef Støre am Mittwoch. "Das hat nicht funktioniert."
Mehrere Gründe führten dazu, dass es richtig sei, Palästina jetzt anzuerkennen.
Besonders der anhaltende Krieg in Gaza. Der Krieg sei der Tiefpunkt einer
langfristigen negativen Entwicklung zwischen beiden Gebieten.

"Die Zeit zum Handeln ist gekommen", sagte Spaniens Ministerpräsident
Sánchez in Madrid. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe
trotz aller Aufrufe die "Zerstörung des Gazastreifens fortgesetzt" und bestrafe
die Palästinenser weiter "mit Hunger und Terror", so der sozialistische
Politiker.

Wann ist ein Staat ein Staat?

"Staat" wird im Völkerrecht meist nach der Drei-Elemente-Regel definiert.
Dieser international anerkannte Staatsbegriff beschreibt einen politisch und
rechtlich organisierten Personenverband (Staatsvolk), der auf abgegrenzter
Fläche (Staatsgebiet) einer Bevölkerung eine eigene Ordnung (Staatsgewalt) gibt.

Beim Staatsgebiet ist keine genaue Grenze erforderlich, es genügt ein
unstrittiges Kernterritorium. Für ein Staatsvolk reicht ein Mindestmaß an
Zugehörigkeitsgefühl. Staatsgewalt bezeichnet die Fähigkeit einer stabilen
Regierung, eine Ordnung in dem Gebiet effektiv zu organisieren und nach außen
von anderen Staaten unabhängig zu handeln.

Je strittiger die Beurteilung als Staat ist, desto bedeutender ist die
Anerkennung durch andere Staaten. Die herrschende Meinung im Völkerrecht geht
aber davon aus, dass die Anerkennung nicht Voraussetzung, sondern nur
Bestätigung für die Existenz eines Staates ist./cmy/DP/ngu

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