07.07.2024 15:31:32 - dpa-AFX: VERMISCHTES: Schmelzofen-Mörder wird in ganz Europa gesucht

ROM (dpa-AFX) - Am 8. Oktober 2015, einem Donnerstag, abends um 19.18 Uhr,
stieg aus dem Schornstein der Gießerei Bozzoli in der oberitalienischen Gemeinde
Marcheno eine ungewöhnliche Wolke auf. Das war wohl der Moment, in dem drinnen
in einem Schmelzofen der Leichnam des Firmenchefs verbrannt wurde. Wenige
Minuten zuvor hatte sich der 50 Jahre alte Mario Bozzoli noch mit seiner Frau
zum Abendessen verabredet. Seither fehlt von ihm jede Spur. Auch im Ofen war
nichts mehr zu finden - kein Wunder bei dem vielen Betrieb und den enormen
Temperaturen.

Der Kriminalfall beschäftigt Italien schon seit bald neun Jahren, in diesen
Tagen aber wieder besonders. Denn seit Anfang des Monats ist nun auch der Mann
verschwunden, der wegen der Ermordung Bozzolis und der Entsorgung im Ofen
inzwischen drei Mal zu lebenslanger Haft verurteilt wurde: sein Neffe Giacomo.
Als das oberste Gericht, der Kassationsgerichtshof in Rom, das Urteil jetzt in
letzter Instanz bestätigte und die Polizei ihn daraufhin in seinem Haus am
Gardasee abholen wollte, war der 39-Jährige untergetaucht, samt Lebensgefährtin
und Sohn.

Suche in ganz Europa

Nun wird Giacomo Bozzoli in ganz Europa mit internationalem Haftbefehl
gesucht. Eine Spur führt über Frankreich nach Spanien. Andere mutmaßen aufgrund
von familiären Beziehungen, dass sich der wohlhabende Unternehmersohn auf den
Balkan abgesetzt haben könnte. Manche schließen auch Deutschland als Fluchtpunkt
nicht aus: Die zuletzt ähnlich groß verfolgte Flucht eines anderen Italieners,
der im Norden des Landes seine Ex-Freundin getötet hatte, endete im November bei
Leipzig auf der Autobahn A9.

In Haft saß der verurteilte Neffe bis heute keinen einzigen Tag. Auch ein
Geständnis legte er nie ab. Im Prozess behauptete er, seinen Onkel geliebt zu
haben. Trotzdem kamen drei Gerichte übereinstimmend zum Urteil, dass Giacomo
Bozzoli der Mörder gewesen sein muss. Er habe seinem Onkel gegenüber
"hartnäckigen und unbändigen Hass" gehegt, weil dieser aus seiner Sicht hinter
dem Rücken der restlichen Familie Geld gescheffelt habe. In seinem Handy hatte
er dessen Nummer unter "Arschloch" gespeichert.

Trotz Verurteilung nie in Haft

Den Leichnam des Ermordeten beförderte der Neffe nach den Ermittlungen
sofort nach der Tat mithilfe von zwei Arbeitern in den Ofen. Einer der beiden
wurde sechs Tage danach tot in einem Wald gefunden. Er hatte eine Kapsel
Zyankali geschluckt - vermutlich Suizid. In seinem Haus entdeckten die Ermittler
5000 Euro in bar, möglicherweise eine Prämie. Gegen den anderen Arbeiter soll
nach einem Bericht des Fernsehsenders Rai demnächst Anklage wegen Beihilfe zum
Mord erhoben werden.

Abgesehen vom üblichen Interesse an einer solchen Verfolgungsjagd gibt es
zunehmend Kritik an den Behörden, weil Giacomo Bozzoli die ganze Zeit auf freiem
Fuß war und offensichtlich auch niemand auf den naheliegenden Gedanken kam, dass
er bei einem endgültigen Urteil den Gang ins Gefängnis vermeiden könnte. Ein
anderer Onkel, Andrea Rozzini, sagte dazu knapp: "Er hatte neun Jahre Zeit, das
alles vorzubereiten." Die Behörden rechtfertigen sich damit, dass der
Verurteilte zu Terminen bislang stets erschienen sei.

Spur nach Marbella

Die Nachbarn am Gardasee berichteten nach dem Verschwinden, dass sie
Bozzoli, dessen Lebensgefährtin und den achtjährigen Sohn schon seit anderthalb
Wochen nicht mehr gesehen hätten. Das Haus jedenfalls stand leer, als am 1. Juli
die Polizei kam: Den Ermittlern blieb nicht viel mehr, als Computer und Laptops
zu beschlagnahmen. Dann fanden sie heraus, dass der Familien-SUV, ein Maserati,
am 23. Juni Richtung Frankreich unterwegs war. Aus Spanien kam später die
Meldung, dass sich ein Paar mit den entsprechenden Papieren bis zum 30. Juni in
Marbella eingemietet hatte. Das alles kann aber auch eine Finte sein.

Der Vater von Bozzolis Partnerin appelliert jetzt an ihn, die Flucht sein zu lassen. "Diese Sache macht mich kaputt", sagte Daniele Colossi im Fernsehen.
"Ich hoffe, dass er sich um seinetwillen, aber vor allem um meiner Tochter und
meines Enkels willen, so bald wie möglich stellt." Aus Ermittlungskreisen kam
die Vermutung, möglicherweise wolle Bozzoli noch zusammen mit seinem Sohn dessen
neunten Geburtstag feiern, ein letztes Mal in Freiheit, und sich dann ergeben.
Der Geburtstag ist am 8. Juli, diesen Montag.

Diese Annahme hat sich nun erledigt: Die Lebensgefährtin und der Sohn kamen
am Freitag mit dem Zug aus Frankreich nach Italien zurück. Die Frau behauptete
im ersten Verhör, wegen der endgültigen Verurteilung ihres Partners zu
lebenslanger Haft einen Schock erlitten und das Gedächtnis verloren zu haben,
ebenso wie ihr Handy. Von Giacomo Bozzoli selbst fehlt weiterhin jede
Spur./cs/DP/he

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