04.07.2024 21:00:48 - dpa-AFX: POLITIK: U-Ausschuss zum Atomausstieg legt los

BERLIN (dpa-AFX) - Ging bei den Entscheidungen zum deutschen Atomausstieg
alles mit rechten Dingen zu? Um das zu prüfen, hat ein Untersuchungsausschuss
des Bundestages seine Arbeit aufgenommen. Aufgabe der Mitglieder sei es, "sich
mit den staatlichen Entscheidungsprozessen zur Anpassung der nationalen
Energieversorgung an die durch den Krieg gegen die Ukraine veränderten
Versorgungslagen zu befassen", sagte Parlamentspräsidentin Bärbel Bas zu Beginn
der ersten Sitzung des Ausschusses am Abend.

Dabei sei zu klären, welche Informationen den Entscheidungen zugrunde gelegt wurden, und welche nationalen, ausländischen oder internationalen Stellen
einbezogen wurden. "Wurde insbesondere ein längerer Weiterbetrieb der im Jahr
2022 noch laufenden Kernkraftwerke tatsächlich ergebnisoffen geprüft?" Mit
dieser Frage soll sich der Ausschuss laut Bas beschäftigen. Er nimmt die
deutsche Energiepolitik seit dem 24. Februar 2022 in den Blick nimmt - dem
Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.

Die Unionsfraktion hatte den Untersuchungsausschuss Mitte Juni beantragt,
der Bundestag hat am Nachmittag mit den Stimmen von Union und AfD grünes Licht
gegeben. Die Unterstützung eines Viertels der Abgeordneten reichte dafür aus.

Vorwürfe gegen Habeck und Lemke

Im Fokus der Untersuchung stehen auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke
und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne). CDU/CSU werfen ihnen
vor, den Weiterbetrieb von Kernkraftwerken in Deutschland nicht "ergebnisoffen"
und "unvoreingenommen" geprüft zu haben.

"Es besteht der dringende Verdacht, dass hier die Öffentlichkeit bewusst von den Ministern Habeck und Lemke getäuscht worden ist, und das wollen wir
aufklären", sagte der CDU-Politiker Stefan Heck der Deutschen Presse-Agentur
unmittelbar vor der Sitzung. In dem Gremium wurde er zum Vorsitzenden gewählt.
Lemke und Habeck weisen die Anschuldigungen von sich.

Was zur erneuten Debatte um den Atomausstieg führte

Wegen der Energiekrise infolge des Krieges hatte die Bundesregierung
entschieden, die letzten drei Meiler noch ein paar Monate länger laufen zu
lassen als ursprünglich geplant. So verschob sich der deutsche Atomausstieg vom
31. Dezember 2022 auf den 15. April 2023. Die Dauer des Weiterbetriebs der
Kraftwerke sowie die Entscheidung zum endgültigen Atomausstieg hatten sowohl in
der Regierung als auch der Opposition für heftige Debatten und Streit gesorgt.

Die Grünen hatten sich lange gegen jede Form der Laufzeitverlängerung
gewehrt, schließlich aber das von Habeck und den AKW-Betreibern im September
2022 vorgelegte Konzept einer vorübergehenden Einsatzreserve für zwei der drei
letzten Meiler unterstützt. Die FDP hatte sich für eine über April 2023
hinausgehende Laufzeit eingesetzt. Im Oktober 2022 sprach Kanzler Olaf Scholz
(SPD) dann ein Machtwort, das zum Weiterbetrieb aller drei Meiler bis spätestens
zum Frühjahr 2023 führte.

Gab es eine ergebnisoffene Prüfung zum Weiterbetrieb?

Die Zweifel der Union an vorbehaltlosen Entscheidungen über den
Weiterbetrieb stützt ein vor Wochen erschienener Bericht des Magazins "Cicero".
Danach sollen sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr
2022 interne Bedenken zum damals noch für Ende 2022 geplanten Atomausstieg
unterdrückt worden sein. Beide Ministerien bestreiten dies.

Im Unionsantrag zur Einberufung des Untersuchungsausschusses heißt es,
Habeck habe am 27. Februar 2022 eine ergebnisoffene Prüfung zu einem möglichen
Weiterbetrieb der Kernkraftwerke zugesagt. Am 1. März desselben Jahres habe er
eine Prüfung angekündigt, bei der es "keine Tabus" geben werde. Nur kurze Zeit
später, am 7. März 2022, hätten dann Habecks und Lemkes Ministerien einen
gemeinsamen "Prüfvermerk" veröffentlicht und darin einen Weiterbetrieb
abgelehnt, unter anderem aus Sicherheitsgründen.

Es sei nicht auszuschließen, "dass fachliche Expertise politischen und
parteipolitischen Vorgaben weichen musste", heißt es im Antrag. Daher soll
insbesondere geklärt werden, ob die von Habeck zugesagten Prüfungen einer
Laufzeitverlängerung stattgefunden hätten und ob "kritische Stimmen systematisch
unterdrückt" worden seien, sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete und
Energiepolitiker, Andreas Lenz.

Lemke sorgt sich nicht

Umweltministerin Lemke hatte der dpa gesagt, dass sie dem Ausschuss "sehr
gelassen" entgegenblicke. "Untersuchungsausschüsse einzusetzen, ist das Recht
der Opposition", betonte sie. Ihr Haus habe "von Anfang an alle Fragen des
Parlamentes und der Öffentlichkeit transparent beantwortet". Die Fakten lägen
auf dem Tisch, sagte Lemke.

Habeck hatte nach einer Anhörung im April versichert: "Die
Versorgungssicherheit hatte für mich absolute Priorität, und das ganze Haus hat
ohne Denkverbote, allerdings natürlich immer auf der Basis von Fakten, von Daten
und auch von Rechtsnormen, gearbeitet."

Untersuchungsausschüsse "schärfstes Schwert der Opposition"

Das Gremium zum Atomausstieg ist neben dem Ausschuss zum Abzug der Truppen
aus Afghanistan der zweite Untersuchungsausschuss in der aktuellen Wahlperiode.
Untersuchungsausschüsse gelten als das "schärfste Schwert der Opposition". Um
sie einzusetzen, muss mindestens ein Viertel aller Mitglieder des Bundestags
zustimmen. Mit 195 von 733 Abgeordneten hätte die Unionsfraktion die Vorgabe
auch ohne Unterstützung der AfD erfüllt.

Der Ausschuss-Vorsitzende Heck geht davon aus, dass die ersten Zeugen in dem neuen Gremium voraussichtlich im September nach der parlamentarischen
Sommerpause befragt werden. Auch die Umweltministerin und der
Wirtschaftsminister werden dem Ausschuss dann als Zeugen Rede und Antwort stehen
müssen./fsp/DP/he

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