24.05.2024 13:11:06 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Macrons Staatsbesuch unter schwierigen Vorzeichen

BERLIN/PARIS (dpa-AFX) - Es ist ein Staatsbesuch mit Hindernissen auch im
zweiten Anlauf: Wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an diesem Sonntag
seine offizielle Deutschlandreise in Berlin beginnt, belasten ihn erneut
heimische Sorgen. Während er vor knapp einem Jahr wegen schwerer Krawalle in den
französischen Vorstädten seinem Gastgeber Frank-Walter Steinmeier kurzfristig
absagte, musste Macron nun direkt vor seiner Deutschlandreise ins 17 000
Kilometer entfernte französische Überseegebiet Neukaledonien aufbrechen, um
Unruhen dort zu schlichten. Am Staatsbesuch in Deutschland werde nicht
gerüttelt, hieß es aber in Paris - das Programm zum Auftakt in Berlin aber wurde
leicht verkürzt.

Frauenkirche und Brandenburger Tor

Mit Stationen am Brandenburger Tor, im Schloss Bellevue und vor der Dresdner Frauenkirche verspricht die Deutschlandvisite symbolträchtige Bilder, wie schon
im vergangenen Frühsommer steht der erste Staatsbesuch eines französischen
Präsidenten in Deutschland seit 24 Jahren aber unter schwierigen Vorzeichen. Um
die deutsch-französischen Beziehungen könnte es besser bestellt sein. Bei
Schlüsselthemen knirscht es immer wieder zwischen Berlin und Paris. Und die
Herausforderungen sind eher noch drängender geworden, allen voran das
konzertierte Auftreten des Westens im Ukraine-Krieg.

Dabei sind beide Seiten um einen besseren Draht bemüht. Kürzlich erst
empfing Macron Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem privaten Abendessen in
Paris. Der Kanzler hatte zuvor eine große Europarede von Macron ausdrücklich
gelobt. Und Anfang des Jahres würdigte Macron den gestorbenen früheren
Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble im Bundestag in einer in großen Teilen
auf Deutsch gehaltenen Rede im Bundestag. Auch der Kontakt mit Steinmeier ist
eng. Den Ersatztermin für den ausgefallenen Besuch besprachen beide Präsidenten
bei einem Abendessen zusammen mit ihren Frauen im August vergangenen Jahres in
Paris.

Europa-Strategie für die Zeit nach der Wahl

Die großen Uneinigkeiten aber konnte all das nicht ausräumen. Während Macron eine größere europäische Autonomie mit eigener Verteidigungsstrategie und einem
Schutz der Wirtschaft vor unlauterer Konkurrenz aus China und den USA predigt,
hält Scholz an seiner transatlantischen Orientierung und dem wichtigen
Handelspartner China fest. Und im Ukraine-Konflikt überraschte Macron Scholz mit
seinen Überlegungen zum Entsenden von Bodentruppen, was Scholz ebenso
kategorisch ablehnt, wie eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an das von
Russland angegriffene Land - während Frankreich seine Scalp-Raketen schon seit
längerer Zeit bereitstellt. Berlin wirft Paris im Gegenzug vor, als zweitgrößte
Volkswirtschaft der EU insgesamt viel zu wenig für die Ukraine zu tun.

Wie es in Paris heißt, geht es Frankreich bei dem Staatsbesuch um die Pflege und Verbesserung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich - und
insbesondere das Festlegen einer gemeinsamen Strategie innerhalb der EU für die
Zeit nach den Europawahlen. Höhepunkt dürfte die Rede Macrons vor der Dresdner
Frauenkirche sein, in der er nach Angaben aus dem Elysée-Palast an seine Rede an
der Pariser Elite-Universität Sorbonne vom April anknüpfen will, in der er seine
Vision von Europa dargelegt hat. Eine Antwort von Scholz darauf steht noch aus.

"Einzigartige Beziehungen" zwischen Deutschland und Frankreich

Auch aus dem Schloss Bellevue heißt es, man wolle "diese einzigartige
Beziehung" zwischen Deutschland und Frankreich, die manchmal so alltäglich
scheine, gebührend feiern. Um diese Einzigartigkeit herauszustreichen, habe
Steinmeier Macron auch als einzigen Staatsgast zu den Feiern zum 75-jährigen
Bestehen des Grundgesetzes eingeladen, die am Sonntagabend enden werden. "Wir
wollen symbolisch das Zeichen senden, dass diese deutsch-französische
Freundschaft wirklich tief ins Herz Deutschlands und des politischen
Selbstverständnisses dieser Republik gehört", wird im Bundespräsidialamt betont.

Auch die Europawahl Anfang Juni wird ein wichtiges Thema dieser zweieinhalb
Tage werden. Während diese in Frankreich schon jetzt in der Bevölkerung ziemlich
präsent sei und von den Parteien sehr ernst genommen werde, hätten die Deutschen
sie noch nicht so recht auf dem Schirm, heißt es in Steinmeiers Umfeld. "Das ist
eine gemeinsame Botschaft, die beide Präsidenten an allen Stationen senden
werden: Geht wählen für Europa." Dahinter steckt nicht zuletzt die Sorge, dass
eine niedrige Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß rechten Parteien in die Hände
spielt. Bei der Europawahl 2019 lag die Beteiligung in Deutschland bei 61,4
Prozent.

Nagelprobe auf Schloss Meseberg

Die Nagelprobe, wie es wirklich um die deutsch-französischen Beziehungen
steht, folgt dann am Dienstag, wenn Macron und sieben seiner Minister im
Gästehaus der Bundesregierung - auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin - mit
Scholz und einem Teil des Ampel-Kabinetts zusammenkommen. Im Mittelpunkt stehen
dann die Themen Verteidigung und Wirtschaft. "Ich rufe zu einem neuen
Wirtschaftsmodell, einem neuen Wachstumsmodell auf, und davon werde ich
versuchen, die Deutschen zu überzeugen", sagte Macron in einem Interview dem
Nachrichtenmagazin "L'Express". Ein Punkt ist sein Wunsch nach einem eigenen,
umfangreichen Budget der EU für Investitionen in die Verteidigung, den
Klimaschutz und Künstliche Intelligenz. Beim deutsch-französischen Ministerrat
könnten die Weichen in diese Richtung gestellt werden, heißt es.

Aufgabe sei es, mit Deutschland neue Initiativen in der EU zu ergreifen,
ähnlich wie beim 750 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket nach der
Corona-Krise. Es gehe um Investitionen in Schlüsseltechnologien und Schritte zum
Schutz der europäischen Wirtschaft, etwa vor dem Import subventionierter
chinesischer Elektroautos.

Beim Thema Verteidigung wird es nicht nur um die weitere Strategie bei der
Unterstützung der Ukraine gehen, sondern vor allem darum, wie die EU-Staaten
sich auch aus eigener Kraft gegen Bedrohungen vor allem aus Russland besser
wappnen können. Ein Streitpunkt ist das von Deutschland initiierte
Luftverteidigungssystem European Sky Shield, an dem inzwischen 21 europäische
Länder beteiligt sind, Frankreich aber nicht. Paris kritisiert, dass dafür auch
Technologie aus Israel und den USA eingekauft wird.

Am Ende wird das Ergebnis des Regierungstreffens jedenfalls am ehesten
Auskunft darüber geben, wie es um die deutsch-französischen Beziehungen wirklich
steht./evs/DP/stk

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