12.07.2024 16:19:24 - dpa-AFX: ROUNDUP: Regierung setzt auf Verständnis für Aufrüstung mit US-Waffen

WASHINGTON/MOSKAU/PEKING/BERLIN (dpa-AFX) - Die Regierung von Bundeskanzler
Olaf Scholz (SPD) setzt auf das Verständnis der Deutschen für die Aufrüstung mit
weitreichenden US-Waffen hierzulande. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius
(SPD) und Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) vertrauen auf die Einsicht, dass
von Russland eine ernste Bedrohung ausgehe und darauf reagiert werden müsse.

Am Rande des Nato-Gipfels in Washington war bekannt geworden, dass die USA
von 2026 an in Deutschland wieder Waffensysteme stationieren wollen, die weit
bis nach Russland reichen.

Darunter sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von
bis zu 2500 Kilometern sein, die technisch gesehen auch nuklear bestückt sein
können, sowie Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte
Hyperschallwaffen. Russland und China reagierten erbost auf die Ankündigung.

Scholz: Unglaubliche Aufrüstung in Russland

"Wir wissen, dass es eine unglaubliche Aufrüstung in Russland gegeben hat,
mit Waffen, die europäisches Territorium bedrohen", sagte Scholz am Rande des
Gipfels in Washington.

Zur Frage, ob er mit größerem Widerstand gegen die Rückkehr solcher
weitreichenden Waffen nach Deutschland auch aus seiner eigenen Partei rechne,
sagte Scholz: "Diese Entscheidung ist lange vorbereitet und für alle, die sich
mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche
Überraschung."

Die Entscheidung lässt Erinnerungen an den Kalten Krieg wach werden. Scholz
hatte Anfang der 80er Jahre selbst als junger Sozialdemokrat gegen den
Nato-Doppelbeschluss protestiert, der unter anderem die Stationierung von
Mittelstrecken-Raketen vom Typ Pershing II vorsah, die nach dem Ende des Kalten
Krieges bis 1991 wieder abgezogen wurden.

Habeck: Naivität verbietet sich

Habeck betonte: "Wir müssen die Wehrhaftigkeit steigern, weil wir in einer
sehr bedrohlichen Zeit leben, die anders ist als in den 80er Jahren. Deshalb
verbietet sich Naivität." Bei den Demonstrationen gegen die
Nato-Doppelbeschlüsse 1981 habe Kalter Krieg geherrscht. "Jetzt erleben wir in
der Ukraine einen heißen Krieg, weil dort geschossen und gestorben wird", sagte
der Vizekanzler der "Neue Westfälischen".

Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger sagte im Deutschlandfunk, sie
verstehe, wenn viele Menschen Assoziationen zum Kalten Krieg hätten. Die
Maßnahmen seien aber kein Beitrag zum Wettrüsten, sondern dienten der
Verteidigung. Es gehe mit dem Stationierungsplan um Zusammenhalt und Schutz,
aber nicht um Aggression.

Pistorius: Kein neues Wettrüsten

In den ARD-"Tagesthemen" sagte Pistorius, von einem neuen Wettrüsten könne
keine Rede sein. "Russland hat diese Waffensysteme schon seit längerem unter
anderem - wie wir vermuten - in Kaliningrad stationiert, das heißt in absoluter
Reichweite zu Deutschland und anderen europäischen Nationen. Er würde bei den
kritischen Stimmen nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung sprechen.

Heusgen: Viele in der Regierung unterschätzen Gefahr

Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, kritisiert
den Großteil der Bundesregierung von Kanzler Scholz für ihre Kommunikation zum
Ukraine-Krieg. "In Deutschland redet der Verteidigungsminister Tacheles und
spricht davon, dass wir kriegstüchtig werden müssen", sagte der frühere
außenpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Deutschen
Presse-Agentur in Washington. Dessen Kabinettskollegen unterschätzten aber immer
noch den Ernst der Lage.

Dobrindt: Ampel muss Haushaltsentwurf korrigieren

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erwartet vom Kanzler nun eine
Korrektur des eben erst vorgelegten Etatentwurfs 2025. "Es geht jetzt darum, die
Haushaltsberatungen von letzter Woche zu korrigieren und einen Verteidigungsetat
vorzulegen, der auch diese Investitionen in Abschreckung, in neue Waffensysteme
möglich macht", sagte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag im
oberbayerischen Oberammergau.

Moskau: Nato-Pläne "Kettenglied im Eskalationskurs"

Zu der geplanten Stationierung fand man in Moskau deutliche Worte. Die
russische Sicherheit werde durch die US-Waffen beeinträchtigt, sagte
Vizeaußenminister Sergej Rjabkow der staatlichen Nachrichtenagentur Tass
zufolge. Es handele sich um "ein Kettenglied im Eskalationskurs" der Nato und
der USA gegenüber Russland.

"Wir sind auf dem besten Weg zu einem Kalten Krieg. Das alles gab es schon
einmal", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem russischen Staatsfernsehen. Er
warf Deutschland, den USA, Frankreich und Großbritannien vor, direkt in den
Konflikt um die Ukraine verwickelt zu sein. "Und alle Merkmale des Kalten
Krieges kehren zurück - mit Konfrontation, mit direkter Auseinandersetzung
zwischen Gegnern."/aha/trö/mfi/cn/rom/bk/sk/DP/men

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