16.06.2024 14:17:05 - dpa-AFX: EM 2024: Politik-Debatte überschattet Frankreichs EM-Auftakt

DÜSSELDORF (dpa-AFX) - Umtost von einer politischen Debatte startet die
französische Star-Équipe um Kylian Mbappé in die Titel-Mission bei der
Fußball-EM. Spieler wie der frühere Bundesliga-Profi Marcus Thuram äußerten sich
geschockt vom jüngsten Rechtsruck bei den Europawahlen. Der Verband sah sich
kurz vor dem sportlichen Auftakt gegen Ralf Rangnicks Österreicher am Montag
(21.00 Uhr/ARD und MagentaTV) zu einem offiziellen Kommuniqué genötigt und
warnte wie einst die DFB-Spitze bei der vermurksten WM 2022 in Katar vor einer
zu großen Politisierung des Teams.

Trotz aller Nebengeräusche gehört Frankreich zusammen mit England zu den
Topfavoriten auf den Titel. "Die Erwartungshaltung an uns ist sehr hoch. Wir
wurden 2018 Weltmeister, 2022 Vize-Weltmeister, wir haben das Potenzial und die
Ambition, den Titel zu gewinnen", sagte der ewige französische Nationalcoach
Didier Deschamps der "Bild am Sonntag".

Seit nunmehr zwölf Jahren ist der 55-Jährige im Amt, aber noch lange nicht
satt. "Ich habe noch immer das gleiche Verlangen, die gleiche Leidenschaft und
Entschlossenheit", sagte der frühere Mittelfeldstratege, der als erster Mensch
sowohl als Spieler als auch als Trainer Welt- und Europameister werden könnte.
"Das ist keine Motivation für mich. Ich bin nicht auf der Welt, um Rekorde zu
jagen und einzigartig zu werden", meinte Deschamps dazu.

Deschamps sieht "viele Hürden" bei der Équipe Tricolore

Ohnehin hat der Coach der Grande Nation nach eigener Aussage noch "viele
Hürden zu meistern". Da ist die Debatte um Superstar Mbappe, dessen Wechsel von
Paris Saint-Germain zu Real Madrid bei vielen Landsleuten nicht gut ankam.
Immerhin sein Führungsanspruch im Team ist zum ersten Mal seit sieben Jahren im
Nationalteam vor einem großen Turnier indes unbestritten. Laut "L'Équipe" soll
Mbappe Spielern und Betreuern vor der Abreise Bluetooth-Lautsprecher geschenkt
haben.

Doch ständige Zweifel am Teamgeist der von vielen Egos geprägten
Star-Auswahl umwehen "les bleus" seit langem und nun muss das Team auch den
Spagat zwischen einer politischen Debatte um die Nachwehen des Rechtsrucks bei
der Europawahl und den sportlichen Zielen schaffen. Wie so etwas schiefgehen
kann, erlebte zuletzt die deutsche Mannschaft vor zwei Jahren in Katar, als von
den Spielern Statements zur Menschenrechtssituation im WM-Gastgeberland
gefordert wurden.

Dies führte damals zur umstrittenen Teamgeste, als sich die Spieler beim
Mannschaftsfoto vor dem ersten Spiel gegen Japan den Mund zuhielten. Rund um das
Team wurde damals von kaum etwas anderem gesprochen. Das Spiel gegen Japan ging
1:2 verloren, die DFB-Auswahl schied in der Vorrunde aus.

"Die Situation ist traurig"

Die Situation bei den Franzosen ist nun durchaus vergleichbar. Die Spieler
werden neben den üblichen sportlichen Dingen mindestens genauso häufig mit der
politischen Lage daheim konfrontiert. Nach der Europawahl, bei der die
rechtsnationale Partei Rassemblement National auf über 31 Prozent gekommen war,
hatte Staatspräsident Emmanuel Macron Neuwahlen zum französischen Parlament
angesetzt. Macrons Partei hatte nur knapp 15 Prozent der Stimmen bekommen. "Die
Situation in Frankreich ist traurig, sie ist ernst", sagte Inter Mailands
Thuram: "Das ist die traurige Realität unserer Gesellschaft."

Laut der Zeitung "Le Parisien" wollen fast 40 Personen der französischen
Delegation auch während der EM von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen - die Wahl in
Frankreich ist vom 30. Juni bis zum 7. Juli, also während der EM-K.o.-Phase
angesetzt. Dafür müsste jeweils eine andere Person - etwa ein
Familienangehöriger - per Vollmacht beauftragt werden.

Der französische Fußballverband reagierte bereits und warnte am Samstagabend vor zu großer Politisierung des eigenen Teams. Es sei "angebracht, jegliche Form
von Druck und politischer Ausnutzung des französischen Teams zu vermeiden", hieß
es in einer Stellungnahme am Samstagabend. Deutschland und die WM 2022 lassen
grüßen.

Profitiert Rangnicks Pressingmaschine Österreich?

Diese Gemengelage soll die Chance für die ambitionierten Österreich sein,
die längst nicht mehr nur mitspielen wollen. Rangnick impfte seinem Team ein
komplett neues Selbstverständnis ein. "Er hat uns ein neues Denken beigebracht.
Wir machen uns nicht mehr in die Hose", sagte Christoph Baumgartner von RB
Leipzig. Der Mittelfeldspieler ist einer von zwölf Profis, die in Deutschland
ihr Geld verdienen. Mehr stehen bei dieser Euro nur im DFB-Aufgebot. "Es ist auf
jeden Fall eine Art Heim-Euro", sagte Stürmer Michael Gregoritsch vom SC
Freiburg, der seit zwölf Jahren in Deutschland spielt.

Seit 2022 hat Rangnick aus Österreich eine Pressingmaschine gemacht, die
großen Gegnern wehtun kann. Der 65-Jährige selbst fühlt sich geliebt wie selten
zuvor in seiner Laufbahn. "Ich bin auf unvergleichliche Weise angekommen, als
Trainer und als Mensch", sagte der älteste Chefcoach des Turniers der
"Zeit"./lap/DP/men

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