24.06.2024 16:00:25 - dpa-AFX: EM 2024/ROUNDUP/Varga-Unfall weckt furchtbare Erinnerungen: Kritik an Sanitätern

STUTTGART (dpa-AFX) - Fast regungslos liegt Barnabás Varga im Strafraum, er
atmet schwer, seine Finger zucken. Ungarns Kapitän Dominik Szoboszlai erkennt
den Ernst der Lage sofort und versucht hektisch, die Ärzte herzubeordern. Es
sind wenige Augenblicke, die sich in der Stuttgarter Arena wie eine Ewigkeit
anfühlen und schreckliche Erinnerungen wachrufen.

Bei der Fußball-EM vor drei Jahren hatte der dänische Mittelfeld-Star
Christian Eriksen nach einem Herzstillstand auf dem Feld um sein Leben gekämpft
- Millionen Fans bangten am Fernseher mit, mehrere Tausend im Stadion. Auch am
Sonntagabend, als sich Mediziner noch auf dem Feld um den Ungarn kümmern, denken
viele an den Eriksen-Vorfall.

Anders als der Däne, der inzwischen wieder auf dem Feld brilliert, ging
Varga nach einem unglücklichen Zusammenprall mit Schottlands Torhüter Angus Gunn
zu Boden. Szoboszlai war als Erster bei seinem im Gesicht schwer verletzten
Mitspieler und haderte nach Abpfiff mit dem Einsatz der Sanitäter.

"Ich weiß nicht, wie die Abläufe funktionieren. Aber wenn unser Arzt sagt,
er braucht Hilfe, dann muss es schnell gehen. Sekunden können in so einer
Situation sehr viel ausmachen", sagte der Liverpool-Profi über die dramatische
Situation. Die UEFA erwiderte, dass es keine Verzögerungen im Rettungsablauf
gegeben habe.

Varga erlitt laut Angaben der ungarischen Delegation vom Montag mehrere
Frakturen im Gesicht und eine Gehirnerschütterung. Ein chirurgischer Eingriff
sei am Montag durchgeführt worden, bestätigte sein Vater András Varga der
ungarischen Sporttageszeitung "Nemzeti Sport". Weitere Neuigkeiten gebe es aber
noch nicht. Bei einem guten Verlauf der Operation könnte der 29-Jährige die
Klinik am Mittwoch verlassen, hieß es.

Schon in der Nacht habe sich der Fußballer wieder in einem stabilen Zustand
befunden. Der Schock über die Geschehnisse saß dennoch tief. Das 1:0 durch ein
ganz spätes Tor rückte in den Hintergrund. Den Last-Minute-Sieg, der zum
Weiterkommen bei dem Turnier in das Achtelfinale reichen könnte, widmeten die
Magyaren ihrem schwer verletzten Teamkollegen.

"Viele dachten, er sei bewusstlos"

Varga war mehrere Minuten nach dem Vorfall mit einer Halskrause sowie unter
Sichtschutz und Applaus von den Zuschauern aus dem Stadion in ein Krankenhaus in
Stuttgart gebracht worden. "Viele dachten, er sei bewusstlos. Er war nicht mehr
er selbst", erklärte Coach Marco Rossi. "Deswegen waren auch alle besorgt."

Das traf vor allem auf Szoboszlai zu, der meinte, dass es zu lange gedauert
habe, bis die Helfer bei Varga waren. Er forderte Anpassungen im
Ablaufprotokoll. "Das muss viel schneller gehen", sagte der 23-Jährige über das
zögerliche Eingreifen der Rettungshelfer, die nicht direkt auf den Platz
gestürmt waren. "Es ist nicht meine Entscheidung, aber wir müssen etwas ändern."
Auch Willi Orbán von RB Leipzig meinte: "Ich glaube, dass es in der
Kommunikation und in der Umsetzung schneller gehen könnte."

Die UEFA erkannte derweil kein Fehlverhalten. "Die Koordination zwischen dem gesamten medizinischen Personal vor Ort war professionell, alles geschah in
Übereinstimmung mit den geltenden medizinischen Abläufen. Es gab keine
Verzögerung bei der Behandlung und Betreuung des Spielers", teilte der Verband
am Montag auf Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

Spätester EM-Siegtreffer in der regulären Spielzeit

"Es war furchtbar, ein grausamer Moment", sagte Roland Sallai vom SC
Freiburg, der das späteste Siegtor in der regulären Spielzeit bei einer EM von
Kevin Csoboth einleitete (90. +10). Als Gruppendritte haben die Ungarn noch die
Chance, ins Achtelfinale einzuziehen. "Wir haben für ihn gekämpft, wollten für
ihn gewinnen", sagte Sallai über Varga.

Er und seine Mitspieler posierten nach dem Abpfiff mit Vargas Trikot mit der Nummer 19 vor den Fotografen. In Gedanken waren Sallai, Szoboszlai und Co. bei
ihrem Teamkollegen im Krankenhaus./wma/DP/he

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