15.07.2024 21:55:48 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Orbans Reise zu Putin: Von der Leyen ordnet Boykott an

(Aktualisierung: Ungarn empört)

BRÜSSEL (dpa-AFX) - EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagiert
mit einer Boykott-Entscheidung auf die Alleingänge von Ungarns Regierungschef
Viktor Orban in der Ukraine-Politik. Die deutsche Spitzenpolitikerin ließ
ankündigen, dass an künftigen informellen Ministertreffen unter der Leitung der
derzeitigen EU-Ratspräsidentschaft in Ungarn keine Kommissarinnen oder
Kommissare, sondern nur ranghohe Beamte teilnehmen werden. Zudem verzichtet die
EU-Kommission auf den traditionellen Antrittsbesuch bei der ungarischen
Präsidentschaft, wie ein Sprecher mitteilte. Aus Budapest gab es zunächst eine
entrüstete Reaktion vom Minister für Angelegenheiten der Europäischen Union,
Janos Boka.

Orbans "Friedensmission"

Hintergrund der Entscheidung von der Leyens ist eine mit der EU nicht
abgestimmte Auslandsreise von Ungarns Regierungschef Viktor Orban wenige Tage
nach dem Beginn der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft. Orban hatte dabei in
Moskau Kremlchef Wladimir Putin getroffen und dies als "Friedensmission" zur
Lösung des Ukraine-Konflikts inszeniert. Später reiste er dann auch noch nach
Peking zu einem Gespräch mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sowie in
den USA zu einem Treffen mit dem früheren US-Präsidenten Donald Trump.

Die Reisen stießen auf großen Unmut in der EU - vor allem, weil der Kreml
den Moskau-Besuch für seine Propaganda ausschlachten konnte und Orban bei der
Reise in der Ukraine-Politik nicht klar die EU-Position vertrat.

Die Europäische Kommission machte mehrfach klar, dass Orban nicht im Namen
der Staatengemeinschaft unterwegs sei. Auch aus dem Auswärtigen Amt kam
deutliche Kritik. "Das sind ungarische Alleingänge, die wir mit großer
Verwunderung und Skepsis zur Kenntnis nehmen", sagte ein Sprecher in der
Bundespressekonferenz in Berlin am vergangenen Freitag. Orban spreche auf diesen
Reisen ausschließlich für sich selbst - und nicht für die Europäische Union. Zu
möglichen Konsequenzen sagte der Sprecher, man müsse sehen, wie die ungarische
Ratspräsidentschaft weiter laufe. "Sie hat schon großen Flurschaden
hinterlassen."

Manche Länder zogen bereits Konsequenzen

Litauen und Schweden kündigten als Reaktion auf die Alleingänge Orbans zu
Beginn der EU-Ratspräsidentschaft bereits an, vorübergehend keine Ministerinnen
und Minister zu Treffen nach Ungarn schicken. Das ungarische Vorgehen sei
schädlich und müsse Konsequenzen nach sich ziehen, erklärte Schwedens derzeitige
EU-Ministerin und designierte EU-Kommissarin Jessika Roswall. Finnland, Estland,
Lettland, Litauen und Polen wollen Roswalls Angaben zufolge ähnlich auf das
ungarische Vorgehen reagieren.

Derzeit wird zudem in Brüssel diskutiert, ob ein eigentlich für Ende August
in Budapest geplantes informelles EU-Außenministertreffen nicht nach Brüssel
verlegt werden sollte. Eine Entscheidung könnte beim letzten regulären
EU-Außenministertreffen vor der Sommerpause am kommenden Montag von
EU-Chefdiplomat Josep Borrell getroffen werden. Er sitzt den
EU-Außenministertreffen vor und ist auch dafür zuständig, dazu einzuladen.

Entscheidung kommt kurz vor Abstimmung im EU-Parlament

Die Entscheidung der EU-Kommission erfolgt wenige Tage vor der Abstimmung
über eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament.
Europäische Parteienfamilien wie die Sozialdemokraten, Grüne und Liberale hatten
sie in der Vergangenheit mehrfach aufgefordert, einen härteren Kurs gegenüber
Ungarn einzuschlagen. Auf die Stimmen aus diesem Lager ist von der Leyen bei der
Wahl am Donnerstag angewiesen.

Ungarn hat seit Anfang des Monats für ein halbes Jahr turnusmäßig die
EU-Ratspräsidentschaft inne. Das Land bereitet in dieser Rolle unter anderem
Treffen der Fachministerinnen und -minister vor. Bei diesen informellen Treffen
kommen in der Regel die jeweiligen Ressortchefs aus den 27 EU-Ländern zusammen.
Auch der fachlich zuständige EU-Kommissar nimmt für gewöhnlich an dem Treffen
teil.

Entrüstung in Budapest

Ungarns Regierung reagierte verärgert auf die Boykott-Entscheidung. "Die
EU-Kommission kann sich nicht Institutionen und Minister aussuchen, mit denen
sie kooperieren will. Sind alle Beschlüsse der Kommission nun auf politische
Erwägungen gegründet?", schrieb Ungarns Minister für EU-Angelegenheiten, Janos
Boka, bei X./rdz/DP/he

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