25.06.2024 14:39:54 - dpa-AFX: WDH/POLITIK/Held oder Schurke: Julian Assange lässt kaum Raum für Zwischentöne

(Im 2. Absatz wurde der Zeitpunkt der Geburt von Assanges Kindern
berichtigt.)

LONDON (dpa-AFX) - Geheimdokumente, Botschaftsflucht und mögliche
Todesstrafe: Die Geschichte von Julian Assange, seit Jahren auf der Weltbühne
erzählt, enthält alle Aspekte eines Politthrillers. Nun steuert die Saga
plötzlich auf ihr filmreifes Ende zu. Nach 1901 Tagen Haft in London, so hat es
die von Assange gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks errechnet, ist der
Australier auf dem Weg in die Freiheit. Möglich macht es ein überraschender Deal
mit dem US-Justizministerium, das bisher mit demonstrativer Härte die
Auslieferung des 52-Jährigen gefordert hatte.

Die vergangenen Tage waren aufregend, erzählt seine Ehefrau Stella Assange
der BBC. Es sei ein Hin und Her über 72 Stunden gewesen. Dass ihr Mann bald bei
ihr und der Familie in Australien sein soll, kann sie noch gar nicht so recht
glauben. Das Paar hat zwei Söhne, Gabriel und Max, die während Assanges Zeit in
der ecuadorianischen Botschaft - dazu später mehr - zur Welt kamen. Für die
Familie wird es ein grundlegender Neustart: Die Kinder, mittlerweile sieben und
fünf Jahre alt, haben ihren Vater noch nie in Freiheit gesehen, wie Stella
Assange berichtet.

Der Hacker hat Probleme mit der Justiz

Geboren wurde Julian Assange am 3. Juli 1971 in Townsville im tropischen
Bundesstaat Queensland. Die Eltern trennen sich noch vor seiner Geburt, in
seiner Jugend zieht er mehr als 30 Mal um. Ab dem Teenager-Alter und dann auch
als Student - seine Fächer sind Programmieren, Mathematik und Physik, einen
Abschluss macht er nicht
- macht er sich einen Namen als Hacker. Das macht ihn bekannt, aber
bringt ihm auch Probleme mit der australischen Justiz.

Seit Jahren scheiden sich an dem Internetaktivisten die Geister. Held oder
Schurke: Für seine Unterstützer ist er ein mutiger Kämpfer, der einem mächtigen
Staat die Stirn geboten hat. Für seine Gegner ist er ein Spion und Verräter.
2006 gründet Assange die Plattform Wikileaks mit der Mission, Whistleblower zu
unterstützen, verborgene Informationen ans Licht zu bringen. Von 2010 an
veröffentlicht Wikileaks geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und
in Afghanistan der Whistleblowerin Chelsea Manning. Die USA werfen Assange in
der Folge vor, geheimes Material gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben
von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben.

Seit April 2019 saß Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh
ein - gemeinsam mit Mördern, Vergewaltigern und Terroristen. Verurteilt wurde er
nie. Doch die USA wollten ihm den Prozess wegen Spionagevorwürfen machen, und
die Fluchtgefahr galt als hoch. Bis zu 175 Jahre Haft hätten ihm in den USA
gedroht, falls es keine Einigung gegeben und Großbritannien den Australier
schließlich ausgeliefert hätte. Zwischenzeitlich befürchtet Assange sogar, dass
ihm in den USA die Todesstrafe droht.

Flucht in die ecuadorianische Botschaft

Das juristische Tauziehen dauert bereits viel länger an. Für weltweites
Aufsehen sorgt Assange, als er 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London
flüchtet. Damals sollte er wegen Vergewaltigungsvorwürfen nach Schweden gebracht
werden. Immer wieder zeigt sich der Mann mit den charakteristisch hellen Haaren
auf dem Balkon der Botschaft seinen Unterstützern und den Medien, gibt
dramatische Pressekonferenzen. Hier lernt er auch seine spätere Ehefrau Stella
kennen - die Anwältin ist Teil seines Juristenteams. Aus einer ersten Ehe stammt
ein weiterer Sohn.

Sieben Jahre bleibt Assange in der Botschaft. Die schwedischen Vorwürfe
wurden zwar mangels Beweisen fallengelassen. Schließlich aber entzieht Ecuador
ihm das Asylrecht, britische Polizisten zerren ihn im April 2019 vor laufenden
Kameras aus dem Botschaftsgebäude. Großbritannien hatte die Festnahme lange
zuvor angekündigt, weil Assange gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe. Und die
USA stellen ein Auslieferungsersuchen.

Hickhack vor Gericht

Es folgt ein Hin und Her: Zunächst verhängt ein Londoner Gericht im Januar
2021 ein Auslieferungsverbot. Als Begründung nannte die Richterin die
Suizidgefahr, sollte Assange in ein US-Hochsicherheitsgefängnis gebracht werden.
Doch Ende 2021 revidiert der High Court die Entscheidung überraschend. Die
damalige britische Innenministerin Priti Patel unterzeichnet den
Auslieferungsbefehl.

Assange wehrt sich weiter. Schließlich hat er Erfolg: Im Mai gibt der High
Court einem Berufungsantrag teilweise statt. Der Fall sollte Anfang Juli
verhandelt werden. Dazu kommt es nun nicht mehr./bvi/DP/jha

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