09.07.2024 07:15:05 - dpa-AFX: ROUNDUP: Krise ade? Europas Hoffnungsträger Ariane 6 soll ins All

KOUROU (dpa-AFX) - Nach zehn Jahren des Wartens soll die neue europäische
Trägerrakete Ariane 6 zum ersten Mal ins All fliegen und Europas Raumfahrt damit
aus der Krise seines Trägerraketensektors befreien. Am Dienstag ab 20.00 Uhr
MESZ soll der Jungfernflug vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in
Französisch-Guayana versucht werden.

Die 56 Meter hohe und 540 Tonnen schwere Rakete hat dann einen knapp
dreistündigen Flug vor sich. An Bord sind dabei auch technische Passagiere aus
Deutschland: Die Ariane nimmt unter anderem die Raumkapsel Nyx Bikini von The
Exploration Company sowie die Satelliten OOV-Cube von RapidCubes und Curium One
von Planetary Transportation Systems mit ins All.

Wetterexpertin sieht gute Chancen für Start am Dienstag

Die Wetterexpertin am Weltraumbahnhof, Anne-Sophie Chassagnou von der
französischen Weltraumbehörde Cnes, ist optimistisch, dass es mit einem Start am
Dienstag klappen könnte. "Die Tendenz ist großartig." Die Expertin prüft, ob
Gewitter oder starker Wind dem Flug im Weg stehen könnten. Das nächste
Wetterupdate ist für 11 Uhr MESZ geplant, bevor das Arbeitsgerüst, das derzeit
noch um die Ariane 6 herum steht, weggezogen wird, um die Rakete freizulegen.

Für den Erstflug wird bereits begonnen, Helium in ein Gefäß in der
Hauptstufe zu füllen. Fünf Stunden vor der anvisierten Startzeit sollen auch die
Booster befüllt werden.

Die Ariane 6: eine moderne Rakete?

Die Ariane 6 ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer
2023 im Einsatz war. Sie soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche
Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.

Beschlossen wurde die Entwicklung der Rakete bereits vor einem Jahrzehnt.
Der Chef der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa, Josef Aschbacher, ist überzeugt,
dass die Rakete dennoch den aktuellen Herausforderungen entspricht. Die Esa
preist die Ariane 6 als modular und flexibel an. Je nach Mission kann sie mit
zwei oder vier Boostern ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in
einem kleineren oder längeren Oberteil behausen.

Deutschland leistet wichtigen Beitrag zur Ariane 6

Auch Deutschland trägt dem Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Walther Pelzer zufolge entscheidend zu
den Neuerungen der Rakete bei. "Bei der Ariane 6 hat Deutschland mit der
wiederzündbaren Oberstufe die wichtigste Innovation verantwortet sowie in
Deutschland gefertigt."

Der Vorteil des bis zu viermal zündbaren Vinci-Triebwerks der Oberstufe ist, dass die Rakete so Satelliten in unterschiedliche Orbits ausliefern und auch
Konstellationen in den Weltraum bringen kann.

Vier deutsche Standorte arbeiten an neuer Rakete

Montiert wird die Oberstufe im Bremer Werk des Raumfahrtkonzerns
ArianeGroup. Die Tanks der Oberstufe und Teile des Triebwerks kommen aus
Augsburg beziehungsweise Ottobrunn. Im baden-württembergischen Lampoldshausen
wurde das Vinci-Treibwerk getestet.

Auch finanziell ist Deutschland bei der Ariane 6 stark engagiert und nach
Frankreich der größte Geldgeber unter den Esa-Ländern. Die Bundesrepublik hat
etwa 20 Prozent der rund vier Milliarden Euro hohen Kosten der Rakete
geschultert. Insgesamt waren gut ein Dutzend Länder am Bau der Rakete beteiligt.

Experte: Ariane 6 nicht auf Höhe der Zeit

Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden meint allerdings trotz der Neuerungen im Vergleich zur Vorgängerin der Ariane 6, die Rakete sei keinesfalls
auf der Höhe der Zeit. Bereits 2015 habe das US-Unternehmen SpaceX mit der
Falcon-9-Rakete das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt eingeleitet.

Esa-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen stellt zumindest in Aussicht:
"Die nächste Rakete, die die Ariane 6 ersetzen wird, wird eine wiederverwendbare
Rakete sein." Derzeit plant die Esa, ihre neue Trägerrakete mindestens bis Mitte
der 2030er Jahre zu nutzen.

Europa will aus der Krise kommen

Raumfahrtexperte Tajmar betont aber auch, es gehe im Kern nicht darum,
kommerziell mit den Konkurrenten mithalten zu können. Die zentrale Aufgabe der
Ariane 6 sieht er erst einmal darin, Europa wieder einen eigenen Zugang zum All
zu verschaffen und so die Unabhängigkeit zu sichern.

Ursprünglich hätte die Ariane 6 bereits vor vier Jahren ins All starten
sollen. Die letzte Ariane 5 hob vor fast genau einem Jahr das letzte Mal in den
Weltraum ab. Seitdem hat Europa keine eigenen Mittel mehr, um größere Satelliten
ins All zu bringen und steckt mit seinem Trägerraketensektor in einer tiefen
Krise. Teils wich die Esa auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX aus.

Probleme auch bei Rakete für kleinere Satelliten

Die Krise ist für Europa umso verheerender, als es auch für kleinere
Satelliten aktuell keinen eigenen Zugang zum All gibt. Im Dezember 2022
scheiterte der erste kommerzielle Start der Vega C. Seitdem ist die Rakete am
Boden. Im November soll sie erstmals wieder abheben.

Pelzer zufolge ist der Erststart deshalb sowohl strategisch als auch
industriepolitisch sehr wichtig für Europa und Deutschland. Und während es vom
Raketenbauer ArianeGroup vorsichtig heißt, der Jungfernflug sei im Grunde auch
der ultimative Testflug, ist Tolker-Nielsen von der Esa sich sicher: "Es wurde
alles getan, damit es ein Erfolg wird. Wenn es scheitert, wäre das wirklich
schlimm."/rbo/DP/zb

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