12.05.2024 15:48:44 - dpa-AFX: HINTERGRUND 2/Alkoholverbot am Ballermann: Wirklich Schluss mit feuchtfröhlich?

(Im 8. Absatz wurde im 5. Satz ergänzt: .... am Samstag kurz nach
Inkrafttreten des Dekrets ...)

PALMA (dpa-AFX) - Das bisher Unvorstellbare steht tatsächlich schwarz auf
weiß im Amtsblatt der Balearen: Auf Mallorcas wildesten Partymeilen darf man
seit Samstagabend auf offener Straße und am Strand keinen Alkohol mehr trinken.
Das Verbot gilt für die bei Deutschen beliebte Playa de Palma mit dem
berühmt-berüchtigten Ballermann sowie für weitere Party-Zonen auf Mallorca und
auch Ibiza. Alles Gebiete, in denen der sogenannte Sauftourismus trotz
verschiedener Maßnahmen zuletzt immer mehr Ärger und Proteste ausgelöst hatte.

Urlaubern und Einheimischen, die etwa mit geöffneter Bierdose an "falscher"
Stelle erwischt werden, droht nun ein Bußgeld zwischen 500 und 1500 Euro. Das
"Dekret für verantwortungsvollen Tourismus" betrifft auf Mallorca Teile der
Gemeinden Palma und Llucmajor sowie die britische Party-Hochburg Magaluf
westlich der Inselhauptstadt Palma. Es gilt darüber hinaus auch für Sant Antoni
de Portmany auf Ibiza.

Es gibt Optimisten ...

Wird der Ballermann jetzt zum "Saubermann"? Der mallorquinische
Hotelierverband FEHM ist zuversichtlich: "Wir begrüßen, dass Verbesserungen
vorgenommen wurden, um das angestrebte Ziel zu erreichen: die Ausrottung des
unzivilisierten Tourismus in den vier Gebieten, die unter seinen Auswirkungen
leiden", hieß es.

Optimistisch äußerten sich in einer gemeinsamen Mitteilung auch der
Playa-Hotelierverband AHPP, der Gastro-Verband CAEB, die
Einzelhändlervereinigung Afedeco sowie der Verband der Nachtclubunternehmern
Abone. So werde "die Kontrolle des Exzess-Tourismus an der Playa gestärkt" und
die "Sicherheit der Anwohner und auch der Urlauber erheblich erhöht".

... und auch Pessimisten

Viele Inselkenner sind derweil skeptisch und glauben nicht, dass von heute
auf morgen Schluss mit feuchtfröhlich sein wird. Zu den Zweiflern gehört Patrick
Schirmer Sastre, Kolumnist der "Mallorca Zeitung". Die Absichten seien sicher
gut. Aber: "Eine Mentalität, ein Lebensgefühl ändert man nicht durch Gesetze und
überteuerte Preise", schreibt er.

"Hecha la ley, hecha la trampa", sagt man in Spanien. So etwas wie "Kaum
gibt es ein Gesetz, schon gibt es auch Schlupflöcher". Schirmer Sastre glaubt,
dass viele nach diesem Motto handeln werden. "Schon jeder Viertklässler, der zur
Klassenfahrt auf den Ponyhof fährt, weiß, dass man den "Berentzen Apfelkorn" am
besten in eine Liter-Flasche Saftschorle umfüllt (...)."

Entscheidend wird sein, wie intensiv die Polizei über die Einhaltung des
Verbots wachen wird. Beatrice Ciccardini ist nicht gerade optimistisch. Es sei
"jedes Jahr dasselbe". Zu Saisonbeginn erscheine ein wenig mehr Polizei,
wirklich eingegriffen werde aber nicht, klagt die Wirtin des Lokals "Zur Krone"
im Gespräch mit der "Mallorca Zeitung". Die aktuelle Lage laut der
Playa-Veteranin: "Die Hütchenspieler sind wieder hier, die Masseurinnen, die
Klauhuren. Es ist schon wieder alles schmutzig, alles vollgekotzt, alles
vollgekackt - wie immer."

Am ersten Tag des Alkohol-Verbots schleppt eine Gruppe junger deutscher
Urlauberinnen zwei Sixpacks Wasserflaschen in der Nähe des Bierkönigs entlang.
Einmal mit Sprudel, einmal ohne. Ist das nun die neue Normalität am Ballermann?
Wohl eher nicht. Obwohl es am Samstag kurz nach Inkrafttreten des Dekrets recht
gesittet zugeht, sind noch genügend Urlauber mit der Bierdose in der Hand
unterwegs. Besonders beliebt derzeit offenbar: ein Wodka-Mixgetränk, alle paar
Meter stehen davon leere Flaschen in der Partyzone auf dem Gehweg.

Ein junger Handballer, der in Vereinskleidung mit seinem Team angereist ist, hatte zu viel von dem Mix intus. Stockbetrunken torkelt er durch die Straßen.
Seine Kumpel müssen ihn stützen. Nach ein paar Gläsern Wasser salutiert er vor
allen Passanten und zieht von dannen. Was auffällt: Bei einem kurzen Spaziergang
am Strand und in der sogenannten Schinkenstraße ist kein einziger Polizist in
Sicht.

Kritik kam von der Opposition auf den Balearen. Die konservative Regierung,
seit einem knappen Jahr im Amt, habe die Chance verpasst, die Exzesse durch noch
strengere Maßnahmen effektiv zu bekämpfen, sagte Ex-Tourismusminister Iago
Negueruela. Unerwähnt ließ er, dass während der Amtszeit der alten
Linksregierung keine der Maßnahmen den erhofften Erfolg brachten.

Protestdemo gegen Massentourismus am 25. Mai

In einem Punkt sind sich unterdessen alle einig: Maßnahmen waren und sind
nötig. Der Verdruss gegenüber Massentourismus wächst nicht nur auf Mallorca,
sondern auch andernorts in Spanien rapide. Am 25. Mai soll in Palma eine große
Protestdemo stattfinden.

Erst am Mittwoch hatte die balearische Ministerpräsidentin Marga Prohens
erstmals erklärt, das Tourismusmodell sei "an seine Grenze gestoßen", ihr
Tourismusminister Marcial Rodríguez sagte: "Wir möchten uns besucht und nicht
überfallen fühlen". Jetzt beschloss die Regionalregierung neben der
Einschränkung des Alkoholkonsums unter anderem auch, dass das Gästebetten-Limit
der Inseln von bisher 430 000 auf 412 000 herabgesetzt wird.

Bisher hatten konservative Politiker meistens den Standpunkt vertreten, man
dürfe die Henne, die goldene Eier legt (sprich den Tourismus, der für 45 Prozent
des Inlandseinkommens verantwortlich ist), nicht verärgern. "Das Ende eines
Tabus", titelte die Regionalzeitung "Última Hora" am Wochenende deshalb
anerkennend.

Voriges Jahr war die ansonsten hervorragende Saison auf Mallorca vom
Sauftourismus überschattet worden. Trotz einer Superauslastung von 97 Prozent
war dem Präsidenten der Playa-Hoteliers Pedro Marín deshalb nicht zum Feiern
zumute. Der 47-Jährige sprach Klartext: Bezüglich Auswüchsen sei es "eine der
schlimmsten Saisons aller Zeiten" gewesen.

Deutsche Touristen oft am Pranger

Medien- und die Polizeiberichte zeigen, dass die Deutschen bei den Exzessen
überdurchschnittlich häufig im Mittelpunkt stehen. Im Sommer 2023 gab es
wöchentlich Schlägereien. Betrunkene Urlauber torkeln herum und nüchtern auf der
Straße aus, werden oft übergriffig. Zudem gab es immer wieder
Auseinandersetzungen zwischen Türstehern und Urlaubern. Die traurigen Höhepunkte
waren eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung im vergangenen Juli - noch immer
sitzen vier Deutsche deshalb in U-Haft - und der Mord an einem Deutschen im
Oktober. Marín fordert schon länger mehr Polizeipräsenz. Die Hoteliers boten den
Beamten sogar schon Betten an. Bislang nahm aber niemand das Angebot an.

Im Rahmen der neuen Maßnahmen soll nun jede der vier betroffenen Zonen
jährlich je vier Millionen Euro für die Umsetzung des Dekrets bekommen. Das Geld
stammt aus den Einnahmen der Touristensteuer. Vom Verbot ausgenommen sind
Terrassen von Restaurants, Hotels und Bars. Auf den vielen Party-Booten darf
weiterhin Alkohol ausgeschenkt werden. Allerdings müssen sie fortan eine
Seemeile Abstand zu den betroffenen Zonen und Stränden einhalten. Zudem dürfen
sie in diesen Zonen keine Gäste mehr aufnehmen oder absetzen.

Zur Bekämpfung der Exzesse war zuletzt 2020 ein Gesetzespaket geschnürt
worden, das in der Pandemie etwas unterging. Damals waren unter anderem
Trinkgelage, sprich der Alkoholkonsum in der Gruppe, auf offener Straße verboten
worden. Wobei die Höchstanzahl der Personen nicht definiert war. Besser wurde es
nicht - im Gegenteil. Jetzt hofft man auf mehr Erfolg. Das neue Dekret gilt
zunächst bis Ende 2027./er/DP/he

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