24.06.2024 06:30:19 - dpa-AFX: ROUNDUP: Urteil im Cum-Ex-Prozess gegen Bankier Olearius erwartet

BONN (dpa-AFX) - Im Cum-Ex-Strafverfahren gegen den früheren Chef der
Hamburger Privatbank M.M.Warburg, Christian Olearius, wird am Montagnachmittag
ein Urteil erwartet. Das Bonner Landgericht dürfte die Einstellung des
Verfahrens verkünden und dabei die angeschlagene Gesundheit des 82-Jährigen als
dauerhafte Verhandlungsunfähigkeit und Prozesshindernis werten (Aktenzeichen 63
KLs 1/22). Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung hatten die
Einstellung des Verfahrens beantragt, das Gericht hatte ein medizinisches
Gutachten eingeholt.

Das sogenannte Einstellungsurteil wird die Schuldfrage wohl unbeantwortet
lassen, auch den von der Verteidigung erhoffte Freispruch dürfte es nicht geben.
Der heutige Gesellschafter der Privatbank M.M. Warburg hat vor Gericht seine
Unschuld beteuert, am Montag will er sich abermals zu Wort melden - auf den
Ausgang des Verfahrens wird das aber aller Voraussicht nach keinen Einfluss mehr
haben.

Taterträge von 43 Millionen Euro

Vorerst erspart bleibt ihm, an den Staat 43 Millionen Euro als damalige
Taterträge zahlen zu müssen. Die Staatsanwaltschaft hatte beantragt, ein
sogenanntes Einziehungsverfahren überzuleiten und dadurch gewissermaßen vom
Strafverfahren abzukoppeln. Das lehnte das Gericht in der vergangenen Woche aber
ab und wies darauf hin, dass die Ankläger hierzu bislang nicht fertig ermittelt
hätten. Dies könnte die Staatsanwaltschaft später noch tun und dann ein
separates Einziehungsverfahren anstrengen. Hierbei ginge es ums Geld und nicht
um die Schuldfrage. Olearius müsste nicht mehr vor Gericht erscheinen.

Die Anklage hatte Olearius 15 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung
vorgeworfen, bei denen ein Steuerschaden von knapp 280 Millionen Euro entstanden
sein soll. Die Taten sollen im Kern von 2006 bis 2011 geschehen sein. Das war
die Hochphase des Cum-Ex-Geschäftsmodells, bei dem Finanzakteure Steuern
erstattet bekamen, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem Staat entstand
dadurch ein zweistelliger Milliardenschaden. Zu Cum-Ex hat es am Bonner
Landgericht seit 2020 bereits acht Schuldsprüche gegeben, eine Vielzahl an
Verfahren dürften in den kommenden Jahren noch folgen.

Verbindung zu Scholz

Olearius ist einer der bekanntesten Cum-Ex-Akteure. Sein Vorgehen schlug
auch in der Politik hohe Wellen. Denn aus Tagebucheinträgen von ihm ging hervor,
dass er sich 2016 und 2017 insgesamt dreimal mit dem späteren Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) getroffen hatte, als dieser noch Erster Bürgermeister von Hamburg
gewesen war.

Der genaue Inhalt der Treffen ist unklar. Fakt ist aber, dass die
Finanzbehörde danach eine Steuerforderung fallenließ und die Ansprüche daraufhin
nach damaliger Rechtslage verjährten. Dass ein kausaler Zusammenhang bestand
zwischen den Scholz-Olearius-Treffen und der Behördenentscheidung, ist nicht
erwiesen. Scholz schließt eine politische Einflussnahme aus, beruft sich bei der
Frage nach dem genauen Inhalt der Gespräche aber auf Erinnerungslücken.

Forderung aus der Zivilgesellschaft

Mit Blick auf das am Montag erwartete Einstellungsurteil im Verfahren gegen
Olearius sagte der frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete und jetzige Vorstand der
Bürgerbewegung Finanzwende, Gerhard Schick, es sei kein Skandal, wenn das
Verfahren mit einem Einstellungsurteil ende. "Es gibt für solche Fälle
rechtsstaatliche Regeln, die für alle gelten, auch für Olearius - und das ist
auch richtig so." Der eigentliche Skandal sei vielmehr, dass es zu dem
Strafverfahren fast nicht gekommen wäre, weil Olearius gute Beziehungen zu
Regierung und Justiz in Hamburg gepflegt habe. "Wenn die Staatsanwaltschaft in
Köln nicht hartnäckig geblieben wäre, hätte man Olearius vielleicht nie
angeklagt."

Schick appellierte an die Regierungs- und Ermittlungsbehörden in Hamburg und anderswo, mit vollem Einsatz gegen Cum-Ex-Vergehen vorzugehen. "Der gleiche
Rechtsstaat, der Olearius nun vor einem Verfahren schützt, dem er nicht mehr
gewachsen ist, hätte ihn schon früher entschlossen anklagen müssen."/wdw/DP/zb

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