02.07.2024 19:44:50 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Zunahme bei Ladendiebstählen - 'Wendepunkt erreicht'

(Aktualisierung: 4. Satz im 1. Absatz präzisiert, weitere Informationen im
4. Absatz)

KÖLN (dpa-AFX) - Der Einzelhandel in Deutschland rüstet sich gegen
Ladendiebstahl. Die Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen gehöre in diesem Jahr
für viele Händler zu den priorisierten Projekten, sagt der Experte des
Handelsforschungsinstituts EHI, Frank Horst. Grund dafür sind Zahlen, die die
Branche beunruhigen: Kundinnen und Kunden haben im vergangenen Jahr laut einer
am Dienstag veröffentlichten EHI-Studie Waren im Wert von 2,8 Milliarden Euro
geklaut. Der Schaden, der den Händlern damit entstanden ist, liegt damit 15
Prozent höher als im Vorjahr. "Es ist ein Wendepunkt erreicht, an dem die
Zunahme der Ladendiebstähle eine besondere Dimension annimmt und besondere
Aufmerksamkeit erfordert", sagt Studienautor Horst.

Einen Anstieg gibt es demnach im Lebensmittel- und Bekleidungshandel als
auch bei Drogeriemärkten. Horst sieht dafür mehrere Gründe. "Durch die
Preissteigerungen sind einige Menschen in finanzielle Nöte geraten und haben
häufiger geklaut." Ein weiteres Problem sei der Fachkräftemangel im
Einzelhandel. "In vielen Geschäften ist heute weniger Personal im Einsatz.
Dadurch haben Diebe leichteres Spiel. Personal verhindert durch Präsenz indirekt
Diebstähle", so Horst. Bereits 2022 waren die Zahlen gestiegen. Experten sahen
darin eine Rückkehr zur "Normalität" der Vor-Corona-Zeit.

Zu den bei Dieben besonders beliebten Warengruppen in Supermärkten und
Discountern zählen Spirituosen, Tabakwaren, Kosmetikprodukte, Rasierklingen,
Energydrinks sowie Babynahrung und Kaffee. Fleisch, Wurst und Käse werden
ebenfalls häufiger genannt. Meist handelt es sich um Gelegenheitstäter, bei
mindestens einem Viertel sind professionelle Täter verantwortlich, die
bandenmäßig agieren. Eine Umfrage des EHI zeigt: Viele Einzelhändler erwarten
einen weiteren Anstieg der Diebstähle.

Staat entstand Schaden von 560 Millionen Euro

Insgesamt sind die Inventurdifferenzen 2023 um 5 Prozent auf 4,8 Milliarden
Euro gestiegen. In der Zahl enthalten sind die Verluste durch Diebstahl von
Kunden, Mitarbeitern und Personal von Lieferanten und Servicefirmen, die sich
auf 4,1 Milliarden Euro summieren. Die restlichen 0,7 Milliarden Euro gehen auf
organisatorische Mängel wie falsche Preisauszeichnungen zurück. Nach Angaben von
Horst passiert damit insgesamt jeder 200. Einkaufswagen unbezahlt die Kasse.
Auch dem deutschen Staat entsteht dadurch ein Schaden. So entgehen ihm
Umsatzsteuereinnahmen in Höhe von etwa 560 Millionen Euro.

"Wir haben Märkte, bei denen es einen Anstieg der Inventurdifferenzen gibt,
aber auch sehr viele, die stabil sind", sagte Rewe-Chef Lionel Souque. Die
Supermarktkette hat nach eigenen Angaben verschiedene Maßnahmen ergriffen. "Vor
zehn Jahren haben wir bei Rewe alle Eingänge geöffnet und Schleusen entfernt,
sodass Kunden direkt reingehen können. Das haben wir in einzelnen Märkten
zurückgebaut", so Souque. An einigen Standorten gebe es mehr Sicherheitspersonal
und Detektive.

Handelsverband: Zu oft bleiben Strafen aus

Auch andere Unternehmen sind wachsam. "Wir sehen bei Ikea Deutschland
ebenfalls eine veränderte Situation", sagte eine Sprecherin des Möbelhändlers.
Man arbeite eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um Diebstähle zu
verhindern und aufzuklären. Aldi Nord, Edeka und Lidl wollten zu dem Thema auf
Nachfrage keine näheren Angaben machen.

Handelsverbands-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth fordert ein härteres
Durchgreifen. "Die Handelsunternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass
der Staat mit seinen Behörden die Achtung und den Schutz des Eigentums
zuverlässig und effizient sicherstellt." Eine wirkungsvolle Abschreckung sei
wichtig. Aber zu oft blieben Strafen aus, würden Verfahren eingestellt.
"Insbesondere auch der bandenmäßig organisierte Ladendiebstahl muss gründlicher
bekämpft werden", so Genth.

Viele Unternehmen haben ihre Kameraüberwachung bereits ausgebaut und ihr
Personal geschult, wie aus der EHI-Studie hervorgeht. Die Ausgaben für
Präventionsmaßnahmen im Einzelhandel in Deutschland sind im Jahr 2023 auf 1,55
Milliarden Euro gestiegen, die gesamten Kosten für Inventurdifferenzen und deren
Vermeidung belaufen sich sogar auf mehr als 6,3 Milliarden Euro. Die internen
Personalkosten für alle Tätigkeiten, die aufgrund des Diebstahlrisikos anfallen,
- wie das Anbringen von Warensicherungen, Schulungen und Diebstahlsanzeigen -
sind hier noch nicht enthalten./cr/DP/he

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