03.07.2024 05:41:11 - dpa-AFX: Deutsche Wirtschaft: Keine Brexit-Lockerung nach Wahl

LONDON (dpa-AFX) - Nach dem zu erwartenden Sieg der Labour-Partei bei der
Parlamentswahl in Großbritannien hofft die deutsch-britische Wirtschaft auf eine
Annäherung und Erleichterungen im bilateralen Handel. Mit einer Rückkehr des
Vereinigten Königreichs in den EU-Binnenmarkt und die Zollunion rechnen die
Experten aber nicht.

"Stattdessen erscheint es wahrscheinlicher, dass eine Labour-Regierung
darauf abzielt, die bestehenden Beziehungen zu verbessern und die
wirtschaftlichen Verbindungen zu stärken, ohne die grundlegenden Entscheidungen
des Brexits rückgängig zu machen", sagte York-Alexander von Massenbach von der
Britischen Handelskammer in Deutschland (BCCG) der Deutschen Presse-Agentur. Er
verwies darauf, dass Labour-Chef Keir Starmer, der wahrscheinlich neue
Premierminister, stets betont habe, das Brexit-Referendum zu respektieren und
keinen Wiedereintritt in die EU anzustreben.

Das Vereinigte Königreich wählt am Donnerstag ein neues Parlament. Umfragen
zufolge steuert Labour auf eine deutliche Mehrheit zu. Großbritannien war Ende
Januar 2020 aus der EU ausgetreten und ist seit 2021 auch nicht mehr Mitglied in
Zollunion und Binnenmarkt. Trotz eines Freihandelsabkommens kommt es seitdem
immer wieder zu Problemen im Warenaustausch.

Kleine Schritte, kein großer Wurf

Der Chef der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in
London, Ulrich Hoppe, erwartet eine Einigung bei Regeln zum Handel mit
phytosanitären Produkten, also Waren tierischen Ursprungs. "Das ist ein kleiner
Schritt, der politisch wichtig ist", sagte Hoppe der dpa. Auch bei chemischen
Erzeugnissen könnte sich die neue Regulierung wieder am europäischen
Regulierungsrahmen orientieren. "Aber den großen Wurf für eine richtig starke
Annäherung sehe ich die nächsten Jahre nicht kommen."

Die Vereinigung German Industry UK (GIUK) hofft auf weniger Bürokratie. "Der Abbau von Formularen beim Ex- und Import, bei der Einstellung von Mitarbeitern
aus der EU und die Anerkennung von EU-Qualifikationen wären notwendige Maßnahmen
im Rahmen einer engeren Kooperation mit der EU", sagte der GIUK-Vorsitzende
Bernd Atenstaedt.

Labour ist zu zögerlich

BCCG-Vorstand von Massenbach hält kurzfristig eine verstärkte
sicherheitspolitische Kooperation und Erleichterungen bei der Arbeitserlaubnis
für junge Menschen am wahrscheinlichsten. Ein Ansatzpunkt ist aus seiner Sicht
die 2026 anstehende Überarbeitung des Freihandelsabkommens, das noch Lücken
aufweise. "So fehlt es unverändert weitgehend an Regelungen für den gerade für
Großbritannien so wichtigen Dienstleistungssektor", sagte der Partner der
Wirtschaftskanzlei GSK Stockmann. "Ein neuer gemeinsamer Handels- und
Technologierat, ähnlich dem zwischen der EU und den USA sowie der EU und Indien,
könnte die Umsetzung dieses Abkommens unterstützen."

AHK-Chef Hoppe ist skeptischer. Eine britische Rückkehr ins Erasmus-Programm oder Visumserleichterungen seien zwar wünschenswert. Aber zum einen müsse sich
die neue EU-Kommission noch finden. Zum anderen sei Labour zu ängstlich,
umgehend große Änderungen durchzubringen, sagte Hoppe. "Die EU will ein Stück
mehr Freizügigkeit haben. Das kann eine zukünftige Labour-Regierung nicht
zusagen angesichts der hohen Einwanderungszahlen. Das ist politisch zu
schwierig."/bvi/DP/zb

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