26.05.2024 14:43:50 - dpa-AFX: Macron beginnt Staatsbesuch in Deutschland

BERLIN (dpa-AFX) - Im Zeichen von Dissonanzen zwischen Berlin und Paris
beginnt Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron an diesem Sonntag einen
knapp dreitägigen Staatsbesuch in Deutschland. Es ist der erste Besuch dieser
Art eines französischen Präsidenten seit 24 Jahren. Macron wird am frühen
Nachmittag in Berlin eintreffen und dann zunächst mit Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier das Demokratiefest im Regierungsviertel zur Feier von 75
Jahren Grundgesetz besuchen. Daran schließen sich die Begrüßung mit
militärischen Ehren, politische Gespräche, eine Pressekonferenz, ein Gang durchs
Brandenburger Tor und am Abend ein Staatsbankett im Schloss Bellevue an. Macron
wird von seiner Frau Brigitte begleitet.

Einzigartige deutsch-französische Freundschaft

Der Besuch soll aus Sicht von Gastgeber Steinmeier die Einzigartigkeit der
deutsch-französischen Freundschaft herausstellen und feiern. Außerdem wollen er
und Macron den Besuch nutzen, um die Menschen in Deutschland zu ermuntern, in
zwei Wochen bei der Europawahl wählen zu gehen. Dahinter steckt nicht zuletzt
die Sorge, dass eine niedrige Wahlbeteiligung erfahrungsgemäß rechten Parteien
in die Hände spielt. Bei der Europawahl 2019 lag die Beteiligung in Deutschland
bei 61,4 Prozent.

Um die Einzigartigkeit der deutsch-französischen Beziehungen
herauszustreichen, habe Steinmeier Macron auch als einzigen ausländischen Gast
zu den Feiern zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes eingeladen, heißt es im
Bundespräsidialamt. "Wir wollen symbolisch das Zeichen senden, dass diese
deutsch-französische Freundschaft wirklich tief ins Herz Deutschlands und des
politischen Selbstverständnisses dieser Republik gehört", wird in Steinmeiers
Umgebung betont.

Differenzen in wichtigen Fragen

So gut die beiden Staatsoberhäupter miteinander können - auf Regierungsebene gelten die Beziehungen zwischen Berlin und Paris gerade als etwas schwierig. Bei
Schlüsselthemen knirscht es immer wieder zwischen beiden Hauptstädten. Das gilt
für die Frage der richtigen Unterstützung für die Ukraine ebenso wie etwa für
die Frage der wirtschaftspolitischen Ausrichtung gegenüber den Konkurrenten USA
und China. Diese Fragen sollen nach dem Staatsbesuch bei einem
deutsch-französischen Ministerrat am Dienstagnachmittag in Schloss Meseberg, dem
Gästehaus der Bundesregierung, nördlich von Berlin erörtert werden.

So predigt Macron eine größere europäische Autonomie mit eigener
Verteidigungsstrategie und einem Schutz der Wirtschaft vor unlauterer Konkurrenz
aus China und den USA. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hingegen hält an seiner
transatlantischen Orientierung und dem wichtigen Handelspartner China fest. Und
im Ukraine-Konflikt überraschte Macron Scholz mit seinen Überlegungen zum
Entsenden von Bodentruppen, was Scholz kategorisch ablehnt.

Auch eine Lieferung von weitreichenden Taurus-Marschflugkörpern an das von
Russland angegriffene Land lehnt Scholz ab. Frankreich hingegen stellt seine
Scalp-Raketen schon seit längerer Zeit bereit. Berlin wirft Paris im Gegenzug
vor, als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU insgesamt viel zu wenig für die
Ukraine zu tun.

Europa-Reden ohne Antworten aus Berlin

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz kritisiert, dass die Beziehungen zwischen beiden Ländern so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr seien. Er verlangte
unmittelbar vor dem Besuch Macrons ein klares europapolitisches Signal der
Bundesregierung. Merz kritisierte, dass Macron aus Berlin bei seinen beiden
großen Europa-Reden an der Pariser Sorbonne-Universität keine Antwort aus
Deutschland bekommen habe. "Das ist in Paris zu Recht und zwar
parteiübergreifend auf große Irritation gestoßen", sagte Merz soeben dem Sender
rbb24 Inforadio. Die erste Rede fiel noch in die Regierungszeit von Angela
Merkel (CDU).

In seiner zweiten Rede im vergangenen April warnte Macron, es gebe ein
großes Risiko, dass Europa im nächsten Jahrzehnt "geschwächt oder sogar
deklassiert" werde. Er forderte eine europäische Verteidigungsstrategie mit
einer gemeinsamen Rüstungsindustrie und eine über Fonds der EU finanzierte
beschleunigte Aufrüstung, um der Bedrohung Russlands gewachsen zu sein. Scholz
kommentierte die Rede auf der Plattform X mit den Worten, gemeinsames Ziel
Frankreichs und Deutschlands sei es, "dass Europa stark bleibt". Er fügte an
Macron gewandt hinzu: "Deine Rede enthält gute Impulse, wie uns das gelingen
kann."

Dresden und Münster als weitere Stationen

Um Europa wird es auch an Macrons zweitem Besuchstag gehen. Er und seine
Frau werden zusammen mit ihren Gastgebern nach Dresden weiterreisen. Dort will
der französische Präsident am Nachmittag vor der Frauenkirche eine weitere
europapolitische Rede halten. Es wird spekuliert, dass Macron hier, unweit der
Grenze zu Tschechien, die Gelegenheit nutzen könnte, um den Blick auf die
osteuropäischen Partner zu richten. Unter ihnen ist die Sorge groß, dass sie die
nächsten Opfer der Expansionspolitik von Kreml-Chef Wladimir Putin werden
könnten. Am Dienstag geht es weiter nach Münster, wo Macron der Internationale
Preis des Westfälischen Friedens verliehen werden soll. Dabei wird Steinmeier
die Laudatio halten./sk/DP/he

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