10.07.2024 11:07:54 - dpa-AFX: Ifo: Wehrpflicht würde Volkswirtschaft Milliarden kosten

MÜNCHEN (dpa-AFX) - Das Münchner Ifo-Institut warnt für den Fall einer
Wiedereinführung der Wehrpflicht vor immensen volkswirtschaftlichen Kosten. Je
nach Szenario würde der Schritt die deutsche Wirtschaftsleistung um drei bis 70
Milliarden Euro drücken, wie Berechnungen der Forscher ergaben. "Als Alternative
zur Wehrpflicht wäre es sinnvoller, die Bundeswehr mit mehr Mitteln
auszustatten, um sie als Arbeitgeber attraktiver zu machen", sagte Ifo-Experte
Panu Poutvaara. "Denkbar wäre, den Wehrdienstleistenden höhere Gehälter zu
bezahlen."

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte vor dem Hintergrund des
Ukraine-Kriegs im Juni Pläne für ein neues Wehrdienstmodell vorgestellt. Er will
die vor 13 Jahren ausgesetzte Erfassung von Wehrfähigen wieder aufbauen. Zudem
will er junge Männer verpflichten, in einem Fragebogen Auskunft über ihre
Bereitschaft und Fähigkeit zum Dienst zu geben und sich bei Auswahl einer
Musterung zu stellen. Junge Frauen könnten dies auch tun. Zugleich wird aber
auch schon länger diskutiert, ob auch eine allgemeine Dienst- oder Wehrpflicht
notwendig ist.

Die Wehrpflicht war 2011 in Deutschland unter Verteidigungsminister
Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach 55 Jahren ausgesetzt worden. Das kam einer
Abschaffung von Wehr- und Zivildienst gleich.

Forscher: Wehrdienst wirkt sich auf Berufsplanung aus

Die Wirtschaftsforscher beschäftigten sich mit drei Szenarien: Betreffe die
Wehrpflicht jeweils den gesamten Jahrgang, drücke dies die Wirtschaftsleistung
um 1,6 Prozent beziehungsweise 70 Milliarden Euro. Werde ähnlich wie bei der
alten Wehrpflicht nur etwa ein Viertel eines Jahrgangs eingezogen, wären es 17
Milliarden Euro. Bei 5 Prozent eines Jahrgangs - laut Ifo entspräche dies in
etwa dem in Schweden praktizierten Modell - wären es 3 Milliarden Euro.

"Eine Wehrpflicht im Rahmen eines sozialen Pflichtjahres würde jährlich
wirtschaftliche Kosten verursachen, die in etwa so groß sind, wie die Mittel aus
dem Verteidigungshaushalt und dem Sondervermögen Bundeswehr im Jahr 2024
zusammen", sagte Ifo-Militärexperte Marcel Schlepper. Die Kosten entstehen der
Studie zufolge vor allem, weil junge Menschen erst später anfingen, Humankapital
- also zusätzliche Bildung - und Vermögen aufzubauen. Der Wehrdienst zwinge die
Betroffenen, ihre Bildungs- und Berufsplanung anzupassen. In der Studie stellten
die Forscher negative wirtschaftliche Folgen bei Einkommen und Konsum bis zum
Lebensende fest.

Forscher weisen auf Fairness hin

Die von Poutvaara vorgeschlagene bessere Ausstattung der Bundeswehr würde
den Berechnungen zufolge in den Szenarien nur etwas mehr als die Hälfte der
gesamtwirtschaftlichen Kosten verursachen - bei jeweils gleichem Wachstum der
militärischen Fähigkeiten. Allerdings würde diese Variante den Staatshaushalt
stärker belasten, weil höhere Gehälter gezahlt werden müssten. Je nach Szenario
geht das weit in die Milliarden.

Zudem geht es den Forschern auch um Fairness: Würde nur ein kleiner Anteil
eines Jahrgangs verpflichtet, werfe das angesichts der ungleichen Verteilung der
Lasten erhebliche Zweifel an der Wehrgerechtigkeit auf, sagte Poutvaara. Bei
einer Marktlösung mit höheren Gehältern müssten dagegen alle gleichermaßen die
höheren Staatsausgaben finanzieren. "Bei einer Wehrpflicht entstehen für die
Nicht-Wehrpflichtigen kaum Kosten", sagte Schlepper. "Das mag erklären, warum
eine Wehrpflicht insbesondere bei jenen Altersgruppen so beliebt ist, die nicht
selbst betroffen wären."/ruc/DP/tih

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