08.07.2024 14:44:23 - dpa-AFX: VERMISCHTES/ROUNDUP: Fallzahlen bei Kindesmissbrauch erneut gestiegen

WIESBADEN/BERLIN (dpa-AFX) - Das Bundeskriminalamt hat im vergangenen Jahr
erneut mehr Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen
registriert. In vielen Fällen spielt das Internet eine wichtige Rolle, etwa wenn
die Täter Kontakte zu Minderjährigen über soziale Netzwerke anbahnen, wie aus
dem "Bundeslagebild Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen
2023" hervorgeht. Der Bericht wurde am Montag im Bundeskriminalamt (BKA) in
Wiesbaden vorgestellt. Eine Herausforderung für die Polizei bleibt demnach das
Dunkelfeld: Viele Taten würden verschwiegen, beispielsweise weil sie innerhalb
der Familie geschehen.

Laut Lagebild wurden den Ermittlern im vergangenen Jahr 16.375 Fälle
bekannt, in denen Kinder sexuell missbraucht wurden - ein Anstieg um 5,5 Prozent
im Vergleich zum Vorjahr. 18.497 Kinder unter 14 Jahren wurden dabei Opfer
sexuellen Missbrauchs, 7,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Im gleichen Zeitraum
wurden zudem 1.200 Straftaten aktenkundig, bei denen Jugendliche sexuell
missbraucht wurden. Die Zahl der Fälle, in denen es um Darstellungen des
sexuellen Missbrauchs von Kindern ging, nahm - vor allem aufgrund zahlreicher
Hinweise aus dem Ausland - um 7,4 Prozent auf rund 45.000 Fälle zu. Die Anzahl
der Sexualdelikte mit minderjährigen Opfern haben sich laut BKA in den
vergangenen fünf Jahren insgesamt mehr als verdreifacht.

Mehr Kontrolle, mehr Fälle: Ermittler hellen Dunkelfeld auf

In dem Lagebild verweisen die Ermittler darauf, dass die Zahl der
aufgedeckten Fälle von Kindesmissbrauch stark mit der polizeilichen
Kontrolltätigkeit und dem Anzeigeverhalten zusammenhänge. "Insofern dürfte es
auch aufgrund intensivierter polizeilicher Tätigkeiten im Deliktsbereich in den
letzten Jahren zu einer Aufhellung des Dunkelfelds gekommen sein", heißt es
weiter.

"Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gehört wohl zu den
furchtbarsten und widerwärtigsten Formen von Kriminalität", sagte
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese Straftaten träfen die
Verwundbarsten in unserer Gesellschaft und verursachten großes Leid. Viele Opfer
seien noch sehr jung, mehr als 2200 Mädchen und Jungen seien zum Zeitpunkt des
Missbrauchs jünger als sechs Jahre gewesen.

Das BKA erklärte außerdem, dass zahlreiche Fälle, in denen sich nach
Hinweisen vor allem aus den USA kein potenzieller Tatort in Deutschland
ermitteln lasse, nicht in die Statistik einfließen. Grund dafür, dass
entsprechende Ermittlungen teils ins Leere laufen, sei die in Deutschland
ausgesetzte Mindestspeicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten - speziell
IP-Adressen. Bilder und Videos von sexuell missbrauchten Kindern und
Jugendlichen werden im Internet tausendfach geteilt.

Faeser: "Wir brauchen die Speicherung der IP-Adressen"

Faeser bekräftigte am Montag in Wiesbaden ihre Forderung für eine neue
rechtskonforme Regelung für eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und
Standortdaten der Telekommunikation. "Wir brauchen die Speicherung der
IP-Adressen", sagte sie. Bei den Daten aus den USA sei dies oft die einzige
Möglichkeit für eine Identifikation möglicher Verdächtiger. Auf die Frage, wie
es mit der Umsetzung aussehe, antwortete Faeser: "Aus meiner Sicht sofort, ich
versuche meine Koalitionspartner davon zu überzeugen."

Im April einigten sich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf das Quick-Freeze-Verfahren. Bei diesem
Verfahren werden Daten erst dann gespeichert, wenn ein Verdacht auf eine
Straftat erheblicher Bedeutung besteht. Die Abstimmung innerhalb der
Bundesregierung zu diesem Vorhaben dauert noch an. Wegen rechtlicher
Unsicherheiten war die alte Regelung zur Speicherung seit 2017 nicht mehr
genutzt worden.

Expertin warnt vor wachsender sexueller Gewalt im Netz

Wie aus dem Bundeslagebild weiter hervorgeht, sind die Fallzahlen bei
Jugendpornografie im Vergleich zum Vorjahr besonders stark gestiegen
- und zwar um rund 31 Prozent auf 8.851 Fälle. Auffällig sei, dass
die Tatverdächtigen oft selbst minderjährig sind. Die Unabhängige Beauftragte
der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus,
sagte: "Das zeigt uns letztlich, wie normal die Konfrontation mit Material
sexueller Gewalt für junge Menschen geworden ist." Daher teilten sie solche
Darstellungen auch im Netz. Es sei erschreckend, dass sich Grenzen verschöben.
Die Expertin warnte, dass das Ausmaß digitaler sexueller Gewalt kontinuierlich
ansteige. Es sei keine Abnahme der Zahlen in Sicht./abc/löb/DP/mis

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