14.05.2024 12:26:47 - dpa-AFX: ROUNDUP: Einschätzung zu Asylverfahren in Drittstaaten soll bald fertig sein

BERLIN (dpa-AFX) - Überlegungen zu Asylverfahren in Drittstaaten wie das
britische Ruanda-Modell sieht der Sachverständigenrat für Integration und
Migration (SVR) sehr kritisch. "Hier gibt es völkerrechtliche Verpflichtungen,
die wahrgenommen werden müssen", sagte der SVR-Vorsitzende Hans Vorländer am
Dienstag in Berlin bei der Vorstellung des Jahresgutachtens des interdisziplinär
besetzten Expertenrates.

Die Länder verlangen von der Bundesregierung Klarheit über eine mögliche
Verlagerung von Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU. Nach ihren Beratungen
mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im März hatten die 16 Länderchefs die
Ampel-Regierung aufgefordert, bei der nächsten Bund-Länder-Konferenz am 20. Juni
dazu erste Ergebnisse vorzulegen. Er rechne mit einem baldigen Abschluss der vom
Bundesinnenministerium dazu organisierten Beratungen, sagte Vorländer.

Die britische Regierung will Migranten, die irregulär einreisen, keine
Gelegenheit mehr geben, einen Asylantrag zu stellen. Stattdessen sollen sie in
einen Drittstaat wie Ruanda abgeschoben werden können. Ein Deal sieht vor, dass
sie dann dort Asyl beantragen.

Über Migrationsfragen müsse in Zukunft sachlicher gesprochen werden,
forderte Vorländer. Es sei falsch, wenn Politiker den Eindruck erweckten, mit
Maßnahmen wie effektiveren Grenzkontrollen oder neuen Abschieberegeln ließen
sich große Veränderungen bewirken. Er beobachte, dass hier "Erwartungsfallen
aufgebaut werden". Der Beschluss zu einer Reform des Gemeinsamen Europäischen
Asylsystems sei ein guter Schritt. Denn neben den darin vorgesehenen
beschleunigten Grenzverfahren sehe die Reform auch mehr Solidarität zwischen den
europäischen Staaten vor. Entscheidend sei nun, wie sie umgesetzt werde.

Nachfolgeregelung für Ukraine-Flüchtlinge fehlt

Eine rasche europaweite Lösung sollte aus Sicht des SVR - auch mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni - für die ukrainischen Flüchtlinge gefunden werden.
Die rund 4,3 Millionen Menschen waren zunächst über eine EU-Richtlinie
aufgenommen worden und mussten keinen Asylantrag stellen. Diese Richtlinie sieht
allerdings nur einen vorübergehenden Aufenthalt vor. Die Bundesregierung sei
auch deshalb gegen unterschiedliche nationale Regelungen, weil dies dazu führen
könnten, dass Flüchtlinge dann in andere europäische Staaten weiterzögen, sagte
SVR-Mitglied Winfried Kluth.

Sollten die rund 1,2 Millionen Menschen, die aus der Ukraine nach
Deutschland geflohen seien, alle einen Asylantrag stellen, würde dies zu einer
starken Belastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) führen,
führte er aus. Nicht alle ukrainischen Geflüchteten könnten mit einem
Schutzstatus rechnen, da immer auch berücksichtigt werde, ob es sichere Orte im
Herkunftsland gibt.

Die Aufenthaltserlaubnisse von Geflüchteten aus der Ukraine, die vor dem
russischen Angriffskrieg geflohen sind und in Deutschland Schutz erhalten haben,
gelten noch bis zum 4. März 2025.

Vier von zehn Schülern haben Migrationshintergrund

Bei der Fachkräftezuwanderung würde Deutschland laut Gutachten besser
vorankommen, wenn die Regelungen nicht so kompliziert und die Verwaltungen
besser aufgestellt wären. Der Expertenrat urteilt, das deutsche
Erwerbsmigrationsrecht sei "mittlerweile so komplex, dass es kaum noch jemand
versteht". Wenn Deutschland ausländische Arbeitskräfte effektiv anwerben wolle,
brauche es "mehr Mut zur Vereinfachung, um die geltenden Regelungen nach innen
wie außen verständlich zu vermitteln".

Am 1. März waren zahlreiche Neuerungen in Kraft getreten, die von der
Ampel-Koalition im Zuge der Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes
beschlossen worden waren. Menschen aus Staaten außerhalb der Europäischen Union
können künftig in Deutschland arbeiten, wenn sie mindestens zwei Jahre
Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufs- oder
Hochschulabschluss haben. Sie müssen keine in Deutschland anerkannte Ausbildung
vorweisen.

In puncto Schulbildung stellten die Expertinnen und Experten fest, dass
Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund nach wie vor geringere Chancen
haben als Gleichaltrige ohne Migrationsgeschichte. Bei den jungen Menschen der
zweiten Zuwanderungsgeneration habe sich die Situation zwar in den vergangenen
Jahren verbessert. Für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche gelte dies aber
nicht. Das hat nach Einschätzung des SVR auch mit den Einschränkungen infolge
der Corona-Pandemie zu tun - einer Zeit, wo es noch mehr als sonst auf die
Möglichkeit der Unterstützung durch die Eltern ankam und auf Wohnverhältnisse,
die ein Lernen zu Hause ermöglichen.

Den Angaben zufolge konnten 2022 rund 61 Prozent der jungen Erwachsenen ohne Migrationshintergrund ein Fachabitur oder Abitur vorweisen und 56,8 Prozent
derjenigen der zweiten und folgender Zuwanderungsgenerationen - ein Zuwachs von
4,9 beziehungsweise 7 Prozentpunkten gegenüber 2018. Von jenen der ersten
Zuwanderungsgeneration erreichten 2022 demnach weniger als vier von zehn
Personen (37,9 Prozent) die Hochschulreife beziehungsweise ein Fachabitur. Von
jenen mit einer Fluchtgeschichte gelang dies nur einem Drittel (33,3 Prozent).
Die Quoten in diesen Gruppen gingen - anders als bei den in Deutschland
Geborenen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte - sogar zurück. Im Vergleich zu
2018 war der Anteil im Jahr 2022 um 2,5 beziehungsweise 5,2 Prozentpunkte
niedriger./abc/DP/men

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