14.07.2024 02:05:14 - dpa-AFX: Der Unbeirrte: Biden macht Wahlkampf in Michigan

DETROIT/WASHINGTON (dpa-AFX) - Ein in der Debatte um seine geistige Fitness
weiterhin unbeirrter US-Präsident Joe Biden hat im Bundesstaat Michigan um
Wählerstimmen geworben. "Soviel dazu, dass meine Kampagne auseinanderfällt",
sagte der 81 Jahre alte Demokrat bei einem Auftritt in Detroit.

Wie bereits bei der Pressekonferenz nach dem Nato-Gipfel ließ sich der
Präsident keine Selbstzweifel anmerken. Er wolle und werde seinen
republikanischen Herausforderer Donald Trump erneut schlagen, machte Biden
deutlich. Seine Rede las er dabei von Telepromptern ab, improvisierte nur wenig.
An einer Stelle schien er den Faden zu verlieren, lenkte aber schnell mit einer
Anekdote davon ab.

Auffällig war, dass einige Vertreter der Demokraten aus dem Bundesstaat
Bidens Auftritt fernblieben - darunter die Gouverneurin Gretchen Whitmer, wie
US-Medien berichteten. Demnach hatte sie eine Verpflichtung im Bundesstaat
Idaho. Auf der Plattform X schrieb Whitmer, es sei immer großartig, Biden in
Detroit zu Besuch zu haben und dass die Stadt hinter ihm stehe. Am Mittwoch
hatte Whitmer beim Sender CNN eingeräumt, ein kognitiver Test würde "nicht
schaden", um Zweifel an Bidens Eignung für eine zweite Amtszeit zu zerstreuen.

Rückzugsforderungen reißen nicht ab

Am Tag von dessen Besuch in Detroit hatte sich die Schauspielerin Ashley
Judd in einem Meinungsbeitrag bei "USA Today" der Forderung ihres
Hollywood-Kollegen George Clooney nach einem Rückzug Bidens aus dem Rennen um
die Präsidentschaft angeschlossen. Judd bat Biden darum, Platz zu machen für
einen "talentierten und starken Kandidaten". Dies falle ihr als überzeugte
Demokratin nicht leicht.

Der demokratische Minderheitsführer des US-Repräsentantenhauses, Hakeem
Jeffries, teilte indes mit, sich am Donnerstagabend (Ortszeit) persönlich mit
dem US-Präsidenten getroffen und ihm die Sorgen seiner Parteikollegen
übermittelt zu haben.

Die "Washington Post" veröffentlichte ein Meinungsstück mit dem Titel:
"Biden bleibt uneinsichtig. Er muss die Realität anerkennen." Die Autorinnen und
Autoren stimmen darin der Warnung von Bidens Unterstützern zu, dass man die
Gefahr einer erneuten Trump-Präsidentschaft nicht aus den Augen verlieren dürfe.
Sie schreiben aber auch: "Der beste Weg, um Mr. Trump aus dem Oval Office
fernzuhalten, ist eine starke Alternative."

Davor hatte die "New York Times" unter Berufung auf zwei nicht namentlich
genannte Quellen berichtet, einige Spender der Demokratischen Partei hielten
Wahlkampfunterstützung in Höhe von schätzungsweise 90 Millionen US-Dollar
zurück, solange Biden an der Kandidatur festhalte. Vergangene Woche gab es
bereits Berichte, dass eine wohlhabende Disney-Erbin ihre finanzielle
Unterstützung für die Partei so lange zurückhalten wolle, bis Biden sich aus dem
Rennen zurückzieht.

Jubel für Biden, Buh-Rufe für die Presse

In Detroit schien von alldem nichts zu spüren zu sein. Bidens Publikum war
animiert, jubelte laut immer wieder "Wir stehen hinter Dir", "Gib ja nicht auf"
und "Wir lieben Dich".

Als Biden die negativen Schlagzeilen der vergangenen Tage ansprach, gab es
Buh-Rufe, denen der Demokrat allerdings Einhalt gebot und die "guten Männer und
Frauen" in der Presse verteidigte. Er kritisierte dennoch, ungerechtfertigt in
die Mangel genommen zu werden, weil er manchmal Namen verwechsle. "Ich sage
Charlie statt Bill. Aber wisst Ihr was? Donald Trump hat einen Freifahrtschein
bekommen."

Seinen Fokus legte Biden auch im restlichen Teil seiner Rede vor allem auf
den republikanischen Herausforderer. In der Autoindustriestadt Detroit
bezeichnete er Trump als Gegner von Gewerkschaften und Arbeiterklasse. Die
Kernbotschaft: Er selbst kümmere sich um die Probleme der Menschen, während der
verurteilte Straftäter Trump nur auf seinem Golfkurs herumfahre.

Im Zuge des Michigan-Besuchs machte Biden auch einen unangekündigten
Zwischenstopp in einem Restaurant - solche Überraschungsauftritte sind im
US-Wahlkampf nicht ungewöhnlich, werden in der aktuellen Gemengelage aber mit
größter Aufmerksamkeit verfolgt.

Gemischte Gefühle im Kongress

Auch unter Kongressmitgliedern sind alle Augen auf den US-Präsidenten
gerichtet: Seit seinem katastrophalen Auftritt beim TV-Duell gegen Trump haben
sich rund 20 demokratische Parlamentarier offen gegen Biden gestellt.

Minderheitsführer Jeffries schrieb nach seinem Treffen mit dem Präsidenten
in einem Brief an die demokratischen Abgeordneten seiner Parlamentskammer, er
habe Biden gegenüber "direkt die ganze Bandbreite an Erkenntnissen, aufrichtigen
Perspektiven und Schlussfolgerungen" seiner Fraktion zum Ausdruck gebracht.
Auffällig war, dass er dabei nicht erwähnte, Biden seine Unterstützung für
dessen Präsidentschaftskandidatur ausgesprochen zu haben.

Viele demokratische Kongressmitglieder sorgen sich, dass fehlende
Unterstützung für Biden auch sie die Wiederwahl kosten könnte. Neben dem
Präsidentenamt wird im November über alle Sitze im Repräsentantenhaus abgestimmt
und über ein Drittel der Sitze im Senat. Bei den Demokraten geht die Befürchtung
um, dass die Republikaner nach der Wahl sowohl beide Kammern im Kongress als
auch das Weiße Haus kontrollieren könnten.

Biden soll beim Parteitag der Demokraten im August offiziell zu ihrem
Kandidaten gekürt werden. Die nötigen Delegiertenstimmen dafür hat er bei den
Vorwahlen bereits gewonnen. Deshalb kann auch nur er entscheiden, aus dem Rennen
auszusteigen. Ob dabei letztlich die Zweifler oder die Hoffnungsvollen Gehör
finden, bleibt abzuwarten./nau/DP/he

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