14.05.2024 06:30:03 - dpa-AFX: ROUNDUP: Ukraine wehrt sich gegen Angriff bei Charkiw - Die Nacht im Überblick

KIEW (dpa-AFX) - Die Ukraine versucht, den großen neuen Angriff russischer
Truppen im Grenzgebiet nahe der Millionenstadt Charkiw zurückzuschlagen.
Russische Kräfte drangen am Montag bis zum Nordrand der Stadt Wowtschansk etwa
40 Kilometer nordöstlich von Charkiw vor. Der ukrainische Generalstab in Kiew
stellte es so dar, dass die Gegend von Angreifern gesäubert werde. Der russische
Militärblog Rybar berichtete, die russischen Einheiten hätten sich dort
festgesetzt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, die Ukraine müsse alles daran setzen, eine Ausweitung der Front zu verhindern. "Unsere Aufgabe ist klar:
den Versuch Russlands zu vereiteln, den Krieg auszuweiten", sagte er in seiner
abendlichen Videoansprache. Die Nacht auf Dienstag begann für die Ukraine mit
russischen Drohnenangriffen vor allem im Süden, wie die Luftwaffe mitteilte.

Die Ukraine wehrt seit mehr als zwei Jahren eine großangelegte russische
Invasion ab. Angesichts der Verschlechterung der Lage für die Ukraine sagten
Deutschland und die nordischen Länder der Ukraine weitere Waffenlieferungen zu.

Ukraine gruppiert Truppen um

Selenskyj und der Generalstab nahmen für die Verteidiger in Anspruch, die
Lage unter Kontrolle zu haben. In der seit vergangener Woche angegriffenen
Grenzregion bei Charkiw gebe es Gegenangriffe, sagte der Präsident am Montag in
Kiew. "Das Gebiet ist verstärkt worden." Die Führung lasse auch andere
Frontabschnitte nicht aus dem Auge. "Natürlich lassen wir die Gebiete um Donezk
nicht ohne die nötige Unterstützung und den nötigen Nachschub, nämlich in
Richtung Kramatorsk und Pokrowsk." Nach Einschätzung von Militärexperten ist ein
Ziel des neuen russischen Angriffs, die Ukraine zum Abziehen von Truppen an
anderen bedrohten Frontabschnitten im Osten zu zwingen.

"Die ukrainischen Soldaten fügen dem Feind Verluste zu, erobern ihre
Stellungen zurück und erzielen in einigen Gebieten taktische Erfolge", hieß es
im Bericht des Generalstabs. Im Laufe des Tages habe es an der Front im Osten
und Süden 140 Gefechte gegeben. Selenskyj bestätigte Militärangaben, dass im
Gebiet Donezk ein russischer Kampfjet vom Typ Su-25 abgeschossen worden sei.

US-Institut kritisiert Beschränkungen beim Waffeneinsatz

Der neue russische Angriff werde der Ukraine in den kommenden Monate große
Probleme bereiten, schrieb das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) in einer
Analyse. Der Experte George Barros kritisierte in der Analyse das Verbot von
Washington, dass die Ukraine gelieferte Waffen aus den USA nicht gegen
russisches Gebiet einsetzen dürfe. Dies schränke die Verteidigungsfähigkeit der
Ukraine ein. Für die russische Armee schaffe es dagegen eine Art Reservat, in
dem sie ungehindert ihre Angriffe vorbereiten könne. Die russische Luftwaffe
könne ungehindert aus eigenem Luftraum Gleitbomben auf die Großstadt Charkiw
abschießen. Die USA und Deutschland haben Beschränkungen verhängt, weil sie
hoffen, dass sich so eine Eskalation mit Russland vermeiden lässt.

Neue Rüstungszusagen aus dem Norden

Angesichts der russischen Offensive im Nordosten der Ukraine sagten
Deutschland und die nordischen Länder weitere Waffen zu. "Wir sind geeint in
unserer Unterstützung für die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf gegen den
russischen Angriff", versicherte Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Treffen mit
den Regierungschefs von Schweden, Dänemark, Finnland, Norwegen und Island in
Stockholm. "Wir werden die Ukraine weiter unterstützen - so lange wie nötig."

Finnlands Regierungschef Petteri Orpo sagte, die Lage auf dem Schlachtfeld
sei kritisch und es sei an der Zeit, zu reagieren und mehr zu tun. "Wir wollen
kein neues Mariupol in Charkiw sehen. Deshalb muss jedes einzelne Land im
Westen, in der Europäischen Union sofort alles tun, was es kann." Konkrete neue
Zusagen etwa für mehr Patriot-Flugabwehrsystemen gab es bei dem Treffen aber
nicht. Die Bundesregierung versucht derzeit, weitere Patriot-Luftabwehrsysteme
für die Ukraine zu organisieren.

Berlin schraubt Erwartungen an Friedenskonferenz herunter

Scholz dämpfte die Erwartungen an die Ukraine-Friedenskonferenz im Juni in
der Schweiz. "Da sollte niemand überhöhte Erwartungen haben: Wir verhandeln dort
nicht über das Ende des Krieges", sagte Scholz dem "Stern". "Bestenfalls ist es
der Einstieg in einen Prozess, der zu direkten Gesprächen zwischen der Ukraine
und Russland führen könnte. Es wird in der Schweiz um die Sicherheit von
Atomkraftwerken gehen, über Getreideexporte, über die Frage von
Gefangenenaustausch und über das nötige Tabu, was einen Einsatz von Atomwaffen
angeht. Noch mal: Das ist alles noch ein zartes Pflänzchen."

Über das Engagement der Europäer im Ukraine-Krieg zeigte sich der
Sozialdemokrat nach seinen Appellen für mehr Waffenlieferungen enttäuscht. Es
sei "offen gesagt noch nicht genug", resümierte er. "Das ist bedrückend, denn
die Ukraine braucht dringend weitere Luftverteidigungssysteme. Putin will
offensichtlich die Infrastruktur der Ukraine zerstören."/fko/DP/zb

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