19.06.2024 20:06:26 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Innenminister dringen auf umstrittene Abschiebungen nach Afghanistan

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POTSDAM (dpa-AFX) - Die Innenminister der Länder dringen auf Abschiebungen
von Schwerkriminellen und islamistischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien
und lösen damit eine kontroverse Debatte aus. Kritik kommt von
Flüchtlingsorganisationen. Auch die Linke hält Abschiebungen nach Afghanistan,
wo die islamistischen Taliban herrschen, nicht mit dem Grundgesetz und
Völkerrecht vereinbar. Dort drohten Menschenrechtsverletzungen, hieß es.

Seit Mittwoch diskutiert in Potsdam die Innenministerkonferenz (IMK) über
die Asyl- und Migrationspolitik - auch als eine Folge des tödlichen
Messerangriffs auf einen Polizisten in Mannheim. "Wir müssen unseren Rechtsstaat
vor extremistischen Bedrohungen jedweder Couleur schützen", sagte Brandenburgs
Innenminister Michael Stübgen (CDU), der den Konferenzvorsitz innehat.

Auch Streit um Zahlung von Bürgergeld an Ukrainer

Streit löste auch die Forderung mehrerer Innenminister aus, die Zahlung von
Bürgergeld an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu beenden. Stattdessen wollen
sie erreichen, dass nur niedrigere Zahlungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz fließen. Brandenburgs Minister Stübgen
argumentierte, das Bürgergeld sei zum "Bremsschuh für die Arbeitsaufnahme"
geworden. Rückendeckung bekam er aus Baden-Württemberg. Aus der
FDP-Bundestagsfraktion wurden ähnliche Forderungen geäußert. Die Bundesregierung
weist das allerdings zurück. Auch der Deutsche Städtetag lehnte den Vorstoß am
Mittwoch ab.

Faeser will Länderkollegen bei IMK informieren

Am Donnerstag will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihre
Länderkollegen über ihre Bemühungen für Abschiebungen nach Afghanistan
unterrichten. "Wir verhandeln vertraulich mit verschiedenen Staaten, um Wege zu
eröffnen, über die Abschiebungen nach Afghanistan wieder möglich werden",
bekräftigte Faeser im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Ziel sei es,
Gewalttäter konsequent abzuschieben, wenn sie nach einer Haftstrafe in
Deutschland wieder freikämen. "Und wir wollen islamistische Gefährder konsequent
ausweisen und abschieben."

Hamburger SPD-Innensenator wirbt für Abschiebungen nach Afghanistan

Der Sprecher der SPD-Innenressortchefs, Hamburgs Senator Andy Grote, sagte
zum Auftakt der Ministerkonferenz am Mittwochabend in Potsdam, er sei sehr
zuversichtlich, dass über eine Vereinbarung mit Nachbarländern ein
funktionierender Reiseweg geschaffen werde, der Rückführungen gewährleiste. "Der
Flughafen in Kabul funktioniert, der Reiseverkehr über die Landgrenzen
funktioniert." Hamburg hat einen entsprechenden Antrag zu Abschiebungen in die
Ministerkonferenz eingebracht.

"Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen, auch wenn er
beispielsweise aus Afghanistan kommt", sagte Grote. Er gehe davon aus, dass das
auch funktionieren werde, und es werde jetzt sehr entschlossen und sehr zügig
daran gearbeitet. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte:
"Es muss rechtsstaatlich sicher sein, Gerichte dürfen uns nicht stoppen."

Für seinen Konferenz-Antrag, Straftäter und Gefährder nach Afghanistan und
Syrien abzuschieben, rechnet Grote mit breiter Unterstützung seiner
Länderkollegen. "Ich glaube, dass wir inzwischen eine große Einigkeit bei dem
Thema haben." Aus Grotes Sicht wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands
schwerer als das Schutzinteresse des Straftäters. In Hamburg geht es laut Grote
um 18 Fälle von afghanischen Straftätern, die vollziehbar ausreisepflichtig
seien.

Kritik kommt von Hilfsorganisationen. Sie wollen an diesem Donnerstag in
Potsdam gegen Abschiebungen nach Afghanistan protestieren.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte in Potsdam, die
Bundesregierung müsse aktiver sein und rasch die Voraussetzungen für die
Abschiebungen schaffen. Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul
(CDU) meinte: "Es muss gemacht werden, aber nicht nur geredet werden." Er halte
aber weniger die Abschiebungen für das zentrale Problem, vielmehr müsse ein zu
hoher Zugang von Migranten stärker begrenzt werden.

Linke hält Afghanistan-Abschiebungen für falsch

Dagegen kritisierte die Linksfraktion im Bundestag am Mittwoch:
"Abschiebungen ins Taliban-Regime bedeuten Steinigung und Auspeitschung. Auch
für Täter gelten die Menschenrechte, denn sie sind universell."

Zuletzt hatten mehrere Gewalttaten von Afghanen Aufsehen erregt. Am
vergangenen Freitagabend erschossen Polizisten in Wolmirstedt bei Magdeburg
einen Afghanen, der einen Landsmann erstochen und dann auf einer EM-Gartenparty
mehrere Menschen verletzt haben soll. In Mannheim tötete am 31. Mai ein Afghane
einen Polizisten mit einem Messer und verletzte fünf Mitglieder der
islamkritischen Bewegung Pax Europa.

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) fordert auch einen
umgehenden Stopp des Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Menschen aus
Afghanistan. Mehrere Länder verlangen als Folge der Messerangriffe eine
Verschärfung des Waffenrechts und eine Ausweitung von Waffenverbotszonen. Auch
Faeser will das Waffenrecht erneut reformieren. Einige ihrer Vorschläge stoßen
jedoch auf Widerstand des Koalitionspartners FDP.

Seit der Machtübernahme durch die radikal-islamistischen Taliban in Kabul im August 2021 schiebt Deutschland niemanden mehr nach Afghanistan ab. Grundlage
für die Entscheidung der Ausländerbehörden, die sich mit Unterstützung der
Bundespolizei um die Abschiebungen kümmern, ist der jeweils aktuelle Lagebericht
des Auswärtigen Amts zur Situation im Herkunftsland./abc/DP/ngu

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