15.05.2024 22:24:56 - dpa-AFX: WDH/ROUNDUP 4: Slowakischer Regierungschef angeschossen - Lebensgefahr

(Video aus der Polizeistation (nicht: Klinik), 5. Absatz)

BRATISLAVA (dpa-AFX) - Bei einem Attentat ist der slowakische Regierungschef Robert Fico angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Der 59-jährige
linksnationale Politiker wurde nach der Bluttat in der Stadt Handlova am
Mittwoch per Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen. Die Polizei teilte mit,
der Angreifer sei festgenommen worden. Laut Augenzeugen schoss er nach einer
Kabinettssitzung mehrmals auf Fico, als dieser vor der Tür Anhänger begrüßen
wollte. Nach Einschätzung der Regierung hatte der Mann ein politisches Motiv.
Politiker in der ganzen Welt reagierten bestürzt, darunter UN-Generalsekretär
António Gutterres, US-Präsident Joe Biden und Kanzler Olaf Scholz.

Fico hatte erst vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein
Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht
auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer
Gewalttat komme.

Der Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen
Linkspartei Smer-SSD ist seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker
der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Gegner nennen
ihn "prorussisch" und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie
Viktor Orbans Ungarn führen zu wollen.

Am Abend schwebte Fico noch in Lebensgefahr, wie Innenminister Matus Sutaj
Estok vor Journalisten in der Klinik in Banska Bystrica sagte, wo Fico operiert
wurde.

Nach Informationen des TV-Senders TA3 soll es sich bei dem Täter um Juraj
C., einen ehemaligen Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes handeln.
Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht. Trotz eines Informationsembargos
gelangte der Sender an eine Videoaufnahme aus der Polizeistation. Darin sagt der
benommen wirkende mutmaßliche Attentäter: "Ich stimme der Regierungspolitik
nicht zu." Als konkretes Beispiel nannte er mit undeutlicher Stimme die von der
Regierung geplante Auflösung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens
RTVS, gegen das seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren.

Innenminister Sutaj Estok kündigte verstärkten Polizeischutz für Politiker,
aber auch Journalisten an. Zugleich rief er Medien, Politiker aller Lager und
die Öffentlichkeit auf, mit der "Hetze gegen politische Gegner in sozialen
Medien" aufzuhören.

Der liberale Oppositionsführer Michal Simecka sagte am Abend alle
politischen Aktionen für unbestimmte Zeit ab. Das betreffe auch eine für
Mittwochabend geplante Demonstration gegen die Regierung.

Augenzeugen berichteten im Fernsehen, vor dem Kulturhaus in Handlova seien
fünf Schüsse gefallen, als Fico ins Freie ging, um Hände zu schütteln. Ein
Schuss habe ihn in die Brust getroffen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza
veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den
Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt.

Staatspräsidentin spricht von Angriff auf die Demokratie

Staatspräsidentin Zuzana Caputova sagte, es handele sich bei dem Attentat
auch um einen Angriff auf die Demokratie. "Jegliche Gewalt ist inakzeptabel. Die
hasserfüllte Rhetorik, derer wir in der Gesellschaft Zeuge geworden sind, führt
zu hasserfüllten Aktionen. Bitte, lasst uns damit aufhören."

Die liberale Präsidentin hatte sich trotz großer Beliebtheit nicht um eine
zweite Amtszeit beworben, weil sie nach eigenen Worten "nach Jahren politischer
Krisen und mehreren Regierungswechseln nicht mehr die Kraft" habe. Das Klima
zwischen Regierung und Opposition gilt als vergiftet.

US-Präsident Joe Biden sprach von einer "schrecklichen Gewalttat". "Unsere
Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", erklärte er.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte das Attentat auf Fico "unerträglich".
"Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt", sagte
Scholz.

In Europa ist Fico wegen seiner oft überspitzten Formulierungen zur Ukraine- und Russland-Politik der EU umstritten. Im Wahlkampf für die Parlamentswahl im
Herbst 2023, die er gewann, ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, er wolle
"keine Patrone" mehr an Waffen an die Ukraine liefern. Tatsächlich aber hat die
Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen
gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt -
einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine
und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU - nicht aber zur Nato.

Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico entgegen irreführender
Medienberichte nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen
der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als
Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland empfindlicher
treffen./ct/DP/he

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