25.06.2024 11:01:56 - dpa-AFX: SPORT/Ein Trainer in Rage nach dem 'Weckruf' für die Squadra Azzurra

LEIPZIG (dpa-AFX) - Trainer-Legende Arrigo Sacchi nannte es "einen Weckruf",
im Land des kommenden Achtelfinal-Gegners hält sich die Angst vor dieser Squadra
Azzurra in Grenzen. Mit seinem mühsamen Einzug in die K.o.-Runde der Fußball-EM
hat Titelverteidiger Italien das Schlimmste verhindert. Nach dem 1:1 dank eines
Treffers in der achten und letzten Minute der Nachspielzeit sah Coach Luciano
Spalletti aber den Zeitpunkt für eine Abrechnung mit Nörglern und Zweiflern
gekommen.

"Kann die Kritik nicht akzeptieren"

Nachdem er zuvor auch gefragt worden war, was passiere, wenn Italien
ausscheiden würde, sagte er am späten Montagabend im Leipziger Stadion: "Was ist
das für eine Frage? Ich werde auch gefragt, ob ich Angst habe. Wenn ich die
hätte, würde ich wie Sie ins Stadion gehen und mir die Spiele anschauen. Ich
kann mir die Karte ja leisten. Ich bekäme das Ticket aber auch umsonst." Die
deutliche Kritik an seiner Mannschaft "kann ich nicht akzeptieren", sagte er.

Die Leistung zuvor gegen die Kroaten gab den Kritikern aber erneut nicht
wenige Vorlagen. Mutlos wirkte die Mannschaft gegen den kämpferischen
WM-Dritten, auch ideenlos. Selbst wenn nach einer ersten starken Szene der
Kroaten die besseren Chancen zunächst bei den Italienern lagen, die dann aber
durch Luka Modrics Treffer (55. Minute) in Rückstand gerieten. Ein mögliches Aus
in der Vorrunde drohte, ehe Mattia Zaccagni die Italiener nach dem 0:1 gegen
Spanien in einer immerhin überzeugenderen Schlussphase vor der zweiten Pleite
nacheinander bewahrte.

"Zerbrechliche" Italiener

"Italien ist der Titelverteidiger, der Europameister von 2021, ein
Schwergewicht im Weltfußball - doch fürchten muss sich die Mannschaft von Murat
Yakin nicht, das hat auch der dritte Auftritt an diesem Turnier gezeigt",
schrieb der "Tagesanzeiger" am Dienstag aus der Schweiz. Die Eidgenossen und
Italien-Nachbarn sind der Achtelfinal-Gegner am kommenden Samstag im Berliner
Olympiastadion, wo die Azzurri vor 18 Jahren Weltmeister geworden waren.

An den EM-Titel brauchen sie nach den bisherigen Vorstellungen noch nicht zu denken. Als "zerbrechlich" bezeichnete "La Repubblica" die Italiener. Ein
Weiterkommen "mit dem letzten Atemzug, als nur noch die unerschütterlichsten
Optimisten daran geglaubt hatten", schrieb der "Corriere dello Sport".

Spalletti selbst jubelte nach dem sehenswerten Ausgleich mit dem
Ex-Weltmeister und jetzigen Teammanager Gianluigi Buffon entfesselt wie selten.
Die Last war riesig, das wurde sichtbar. Ein mögliches frühes Scheitern der
Italiener nach den verpassten WM-Endrunden 2018 und 2022 wäre ein weiterer
Tiefpunkt im Land der Tifosi geworden, der Glanz des EM-Titels 2021 mit einem
Schlag verblasst.

Spalletti-Antwort so lange wie die Nachspielzeit

"Wir haben Spieler, die die Qualität haben, diese Spiele zu spielen. Aber
wir machen Fehler, die zu trivial sind. Wir sind besser als das, was wir gesehen
haben", sagte Spalletti unmittelbar nach der Partie gegen die Kroaten vor den
TV-Kameras: Er erwarte mehr von seinen Spielern.

Als er dann zu mitternächtlicher Stunde im Presskonferenzraum des Leipziger
Stadions Platz nahm, verteidigte er eben diese Spieler wie auch sich selbst und
seine Personalentscheidungen vehement. Angesprochen auf eine angebliche
Abmachung mit der Mannschaft unter der Woche mit Blick auf die Startelf, redete
er sich in Rage - und sprach gleich mal in etwa so lang wie die durchaus etwas
überraschend lange Nachspielzeit dauerte.

"Weiter ohne Ruhm"

"Wie alt sind Sie?", entgegnete der Trainer dem Fragesteller mit deutlich
erhöhter Lautstärke und womöglich auch erhöhtem Puls. "51. Ich bin 65. Ich bin
14 Jahre älter. Ich suche immer das Gespräch mit meinen Spielern. Ich muss
meinen Spielern Gehör schenken. Und was ist daran falsch, wenn die
Startaufstellung das Ergebnis von Gesprächen war?"

Überzeugend trat seine Mannschaft jedenfalls nicht auf. Darin waren sie sich auch in der Heimat einig. "Weiter ohne Ruhm", schrieb La Gazzetta dello Sport":
"Es ist gut, dass Schöne dieser Nacht zu nennen: Den Einzug in die nächste
Runde, den Charakter der Mannschaft und dass der Traum weitergeht. Aber es wäre
falsch und kontraproduktiv, alles andere zu leugnen."/jmx/DP/tih

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