17.05.2024 17:10:07 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Schlappe vor Gericht: Bundesregierung will Klimaschutz-Urteil prüfen

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BERLIN (dpa-AFX) - Die Bundesregierung wirkt fast so, als wäre nichts
gewesen. Sie wolle das Urteil erst einmal genau prüfen, teilt am Freitag in
Berlin die Sprecherin des zuständigen Klimaschutzministeriums mit. Das
Oberverwaltungsgericht Berlin/Brandenburg hatte am Donnerstagabend zwei Klagen
der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben und die Bundesregierung dazu verurteilt,
Maßnahmen zu treffen, mit denen Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Das
im Herbst 2023 von der Regierung beschlossene Klimaschutzprogramm sei dafür
unzureichend, hieß es.

Gericht sieht "methodische Mängel"

Der Senat sei zu der Überzeugung gelangt, dass das Programm "die
gesetzlichen Vorgaben nicht vollständig erfülle, da es die verbindlichen
Klimaschutzziele und den festgelegten Reduktionspfad für die einzelnen Sektoren
bis auf den Sektor Landwirtschaft nicht einhalte", schrieb das Gericht. Zudem
hätten die Richter festgestellt, "dass das Klimaschutzprogramm 2023 an
methodischen Mängeln leide und teilweise auf unrealistischen Annahmen beruhe".

Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein

Im deutschen Klimaschutzgesetz ist das Ziel verankert, die Emissionen in
ihrer Gesamtheit bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu
senken. Bis 2045 will Deutschland dann komplett klimaneutral sein - also nicht
mehr Treibhausgase ausstoßen, als gebunden werden.

Das von der Umwelthilfe beklagte Programm gilt als eine Art Gesamtplan, um
dieses Ziel zu erreichen. Es listet zahlreiche Maßnahmen in den Sektoren
Verkehr, Energie, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft auf, die dabei helfen
sollen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren - darunter etwa das Deutschlandticket, den
Umstieg auf klimafreundliche Heizungen sowie mehr Flächen für erneuerbare
Energien. Bis 2023 hatte Deutschland immerhin schon rund 46 Prozent Minderung
geschafft.

"Klimaschutzlücke" von 200 Millionen Tonnen Treibhausgas

Was das Klimaministerium sogar selbst einräumt: Trotz aller Maßnahmen bleibt eine Lücke von 200 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten. Ein Punkt,
den auch die Vorsitzende Richterin Ariane Holle in ihrer mündlichen
Urteilsbegründung hervorhebt. Durch das verabschiedete Programm würden lediglich
80 Prozent dieser "Klimaschutzlücke" geschlossen.

Die Ministeriumssprecherin betonte am Freitag, dass es durchaus möglich sei, die Lücke "nahezu ganz zu schließen". Das hätten auch die jüngsten Projektionen
des Umweltbundesamts gezeigt. Voraussetzung dafür sei, dass die Bundesregierung
Kurs halte und "ihre Programme entschlossen und nachdrücklich" umsetze, erklärte
sie weiter.

Auswirkungen des Urteils noch unklar

An dieser Darstellung hegt das Oberverwaltungsgericht jedoch Zweifel
- wie aus dem Urteil mehr als deutlich hervorgeht. Was aber auch
richtig ist: Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch völlig offen, ob die Entscheidung
Wirkung entfalten und die Ampel tatsächlich zwingen wird, ihre Politik gründlich
zu überarbeiten. Denn die Bundesregierung kann noch Revision einlegen -
innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils samt
schriftlicher Begründung. Ob sie diesen Schritt plant, war zunächst nicht zu
erfahren. Auch das wolle man prüfen.

DUH spricht von "Gänsehautmoment"

Die Deutsche Umwelthilfe, die mit dem Urteil erneut einen Prozess gegen die
Ampel gewonnen hat, sieht sich in ihrem Bestreben, die Koalition zum Umlenken in
der Klima-Politik zu bewegen, mehr als bestätigt. "Das war gut", fasste
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch am Freitag zusammen. Er habe bei der
Urteilsverkündung einen "Gänsehautmoment" verspürt.

Die Organisation war zuletzt schon einmal juristisch gegen die
Bundesregierung vorgegangen und hatte im November 2023 einen Sieg errungen.
Damals hatte ebenfalls das OVG Berlin/Brandenburg geurteilt, dass die Regierung
ein Klima-Sofortprogramm in den Sektoren Verkehr und Gebäude auflegen muss.
Dagegen läuft aktuell noch die Revision beim Bundesverwaltungsgericht.

Die Sektoren Verkehr und Gebäude gelten auf dem Weg zur Klimaneutralität
seit Längerem als Sorgenkinder. Nach den jüngst vorgestellten Zahlen des
Umweltbundesamts wurden hier 2023 die Treibhausgas-Ziele erneut verfehlt.
Besonders deutlich scheitert der Verkehrssektor bislang daran, seinen Beitrag zu
leisten.

Änderung im Klimagesetz sorgt für Kritik

Ob das künftig noch für Schlagzeilen sorgen wird, ist indes fraglich: Denn
der Bundesrat hat am Freitag eine Änderung des Klimaschutzgesetzes gebilligt,
die vorsieht, dass die Erfüllung der Treibhausgasminderungen in einzelnen
Sektoren künftig nicht mehr im Fokus stehen wird. Entscheidend ist demnach, was
über alle Sektoren hinweg an Gesamteinsparung erzielt wird. Eine Änderung, die
besonders die FDP in der Koalition forciert hatte. Klimaschützer sehen darin
eine Aufweichung der Klimaziele - da einzelne Sektoren dadurch nicht mehr wie
bisher in die Pflicht genommen werden. Die Klima-Allianz Deutschland nannte die
Bundesratsentscheidung ein "Trauerspiel".

Für das aktuelle Urteil spielt die Änderung allerdings erst einmal keine
direkte Rolle - da sie nicht Gegenstand des Verfahrens war. "Wir haben nicht
über das Klimagesetz verhandelt, sondern über das Klimaschutzprogramm",
bekräftigt DUH-Geschäftsführer Resch. Unabhängig von neuen Gesetzen müsse die
Bundesregierung prüfbare Maßnahmen vorlegen, wie das Klimaziel erreicht werden
kann. Das sei bislang nicht der Fall./faa/DP/men

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