20.05.2024 06:41:13 - dpa-AFX: Hüftgold oder KI: Wer schreibt intelligentere Ballermann-Texte?

KÖLN (dpa-AFX) - "Mama, wenn ich groß bin, will ich Handwerker sein. Denn
ein Handwerker, der schraubt sich einen rein." Oder: "Ciao Niveau, wir sehen uns
erst am Montag. Denn ich geig? mir heute einen rein wie Mozart." Diese, dem
Alkohol zugewandten, Textzeilen sind derzeit Tag für Tag am Ballermann auf
Mallorca zu hören. Nach dem Charterfolg von "Layla" vor zwei Jahren versuchen
mehr und mehr Künstlerinnen und Künstler ihr Glück im Partyschlager. Selbst die
Künstliche Intelligenz macht davor nicht Halt. Aber hat die KI am Ballermann
eine Zukunft?

Das Album "Kontrollierte Inseleskalation", im April offiziell von der
geschützten Partymarke "Ballermann" veröffentlicht, ist zumindest ein erster
Versuch, das Genre zu verkünstlichen. Es enthält laut der Macher "mitreißende
Party-Hymnen, elektrisierende Dance-Tracks und gefühlvolle Balladen" - getextet
und komponiert mit Hilfe Künstlicher Intelligenz.

Das Ergebnis: "Sommerparty am Strand, eo eo. Mit dem Drink in der Hand, eo
eo. Alle tanzen so frei, eo eo. Die Nacht gehört uns zwei." Oder:
"Wodka-Lemon-Säule, meine Liebe. Mit dir fühl' ich mich so gut.
Wodka-Lemon-Säule, meine Triebe. Du fließt in meinem Blut." Textlich nun
wirklich keine Champions League - selbst für Ballermann-Verhältnisse.

Entgegen gängiger Vorurteile sei es für Außenstehende gar nicht so einfach,
einen guten Mallorca-Hit zu schreiben, sagt "Dicke Titten,
Kartoffelsalat"-Sänger Ikke Hüftgold. "Hier geht es auch um Authentizität, wenn
wir Texte schreiben. Du musst das Thema Mallorca leben und lieben und wissen,
wie du die Jugendlichen ansprechen musst."

Der 47-jährige Hesse, der eigentlich Matthias Distel heißt, weiß, wovon er
redet. Mit seiner Plattenfirma "Summerfield Records" ist er für zahlreiche
Ballermann-Hits verantwortlich. Eine Auswahl: "Johnny Däpp" ("Scheiß auf den
Job, scheiß auf mein Geld... Ich will Malle zurück."), "Layla" ("Sie ist
schöner, jünger, geiler") oder "Bumsbar" ("Heute sind wir wieder bumsbar. Geile
Mädels, geile Jungs da.").

In diesem Jahr geht "Oberteil" von Isi Glück und Marc Eggers in das Rennen
um den Hit der Saison, auch dahinter stecken Hüftgold und sein Team. Woher kommt
sein Gespür für Hits? "Das liegt daran, dass wir uns 24 Stunden mit dem Genre
befassen und die musikalischen Trends einfließen lassen, die es immer wieder
gibt. Und das kann eine KI auch nicht."

In der Tat: Bei vielen Partysongs fließen Social-Media-Sprüche oder kreative Anleihen aus der Comedy ein. Bestes Beispiel ist die fast schon poetische
Doppeldeutigkeit: "Ich überleg', mit dem Saufen aufzuhören. Aber ich schwanke
noch." Aus diesem Satz des Kölner Kabarettisten Dave Davis formte Hüftgold einen
ganzen Song ("Ich schwanke noch").

Auch Mickie Krause ("Nie mehr Alkohol - freie Getränke") ist bekannt für
freche und kreative Textzeilen à la: "Geh mal Bier holen, du wirst schon wieder
hässlich." Solche Ballermann-Bonmots fehlen auf dem KI-Album, das sich eher nach
einer wahllosen Anreihung von Mallorca-spezifischen Begriffen anhört. Beim
Wording und der Ironie sei man der KI "momentan noch meilenweit voraus", erklärt
Produzent, Komponist und Sänger Hüftgold.

Laut Bundesverband Musikindustrie, der nach eigenen Angaben rund 200
Musikfirmen in Deutschland vertritt, wird die Künstliche Intelligenz in der
Branche schon jetzt gehäuft eingesetzt, etwa bei der Musikproduktion. "Hier
unterstützt die Technologie menschliches kreatives Schaffen als Werkzeug, kann
es fördern und damit spannende Dimensionen der Kunst eröffnen", erklärt der
Vorstandsvorsitzende Florian Drücke. "In diesem Bereich liegen sehr viele neue
Chancen, aber es braucht im Sinne einer auch wirtschaftlich tragfähigen Zukunft
für die Kreativen und ihre Partner möglichst klare Vorgaben durch den
Gesetzgeber."

Mit juristischen Fragen rund um die KI, etwa beim Urheberrecht, werden sich
künftig auch die Ballermann-Produzenten verstärkt auseinandersetzen müssen.
Hüftgold sieht auf lange Sicht sogar die Möglichkeit einer echten Konkurrenz.
"Die KI wird natürlich weiter dazulernen. Es wird irgendwann der erste KI-Hit
folgen, weil er so zufällig dumm zusammengewürfelt wurde, dass er dann doch
funktioniert. Das wird alles passieren."

Bis dahin werden die Sauftouristen auf Mallorca weiter Songtexte mitgrölen,
die auf menschlicher Intelligenz basieren. Wie beim aus zufällig ausgewählten
Worten zusammengewürfelten Hit "Delfin" (Honk & Isi Glück) - ebenfalls aus der
Hüftgold'schen Feder: "Ich hab? einen Delfin in meiner Bauchtasche. Und mein
Pferd, wenn ich nicht aufpasse. Frisst dem Delfin aus meiner Bauchtasche seine
Suppe weg. Er ist 'n Schluckspecht."/tbm/DP/ngu

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