16.07.2024 06:22:30 - dpa-AFX: Klimawandel macht die Tage länger

ZÜRICH (dpa-AFX) - Der Klimawandel lässt die Tage auf der Erde einer Studie
zufolge minimal länger werden. Das schmelzende Eis der Polargebiete verteile
sich auf die Weltmeere und sorge damit für eine andere Massenverteilung auf der
Erde, die die Erdrotation verlangsame, berichtet ein Forschungsteam im
Fachmagazin "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften
("PNAS"). Derzeit liegt der klimabedingte Effekt auf die Tageslänge demnach bei
etwa 1,33 Millisekunden pro Jahrhundert.

Wenn der Klimawandel nicht eingedämmt wird, könnte der Effekt größer werden
als der Einfluss des Mondes auf die Erdrotation, erklärt die Gruppe um Mostafa
Kiani Shahvandi von der ETH Zürich.

Gezerre am Planeten

Die Schwerkraft des Mondes bringt auf der Erde Gezeitenkräfte hervor, die
hauptsächlich in Ebbe und Flut sichtbar werden. Das "Gezerre" des Mondes an der
Erde verlangsamt minimal die Rotation der Erde und verlängert damit den Tag.

Auch das Klima hat einen winzigen Einfluss auf die Erdrotation, der mit
modernen Satelliten gemessen werden kann. Neben Satellitendaten verwendeten
Shahvandi und sein Team Computermodelle, um den Einfluss des Klimas für die Zeit
seit 1900 zu ermitteln und die Zeit bis 2100 zu prognostizieren. Dabei
berücksichtigen die Forschenden verschiedene Szenarien für die Entwicklung des
Klimawandels.

Die Berechnungen der Wissenschaftler ergaben, dass die klimabedingte Zunahme der Tageslänge im Laufe des 20. Jahrhunderts erheblich geschwankt hat: zwischen
0,31 Millisekunden pro Jahrhundert (1960 bis 1980) und 1,00 Millisekunden pro
Jahrhundert (1920 bis 1940). "Diese Schwankungen spiegeln die variablen Anteile
der globalen Oberflächentemperatur-Änderung, der Eisschmelze, der Änderung der
terrestrischen Wasserspeicherung und des Meeresspiegelanstiegs wider, die im 20.
Jahrhundert aufgetreten sind", schreiben die Autoren.

Eisschmelze auf Grönland und in der Antarktis entscheidend

Für die ersten zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts haben die Forscher eine
durchschnittliche klimabedingte Zunahme der Tageslänge um 1,33 Millisekunden pro
Jahrhundert errechnet - statistisch bedeutsam mehr als im gesamten 20.
Jahrhundert. Den Computermodellen zufolge geht die Erhöhung des Wertes im
Wesentlichen auf die Eisschmelze auf Grönland und in der Antarktis zurück.

"Diese Ergebnisse zeigen durch ihre Auswirkung auf die Tageslänge, dass der
Massentransport von den Polen zum Äquator infolge des Klimawandels in den
letzten zwei Jahrzehnten im Vergleich zu den vorhergehenden 100 Jahren
beispiellos war", erläutern die Wissenschaftler.

Berücksichtigt haben die Forscher auch einen Effekt, der der Verlagerung der Wassermassen im Zuge der Eisschmelze entgegenwirkt: Massenverlagerungen im
Erdmantel. Kilometerdickes Eis drückt die Landmassen Grönlands und der Antarktis
in den zähflüssigen Teil des Erdmantels, auf dem sich die Erdplatten bewegen.
Wenn das Eis schmilzt, werden die Landmassen leichter und heben sich, weil
zähflüssige Erdmantelmasse darunter fließt. Der Effekt beträgt den Berechnungen
zufolge derzeit minus 0,8 Millisekunden pro Jahrhundert, verkürzt also die
Tageslänge.

Klimakrise übertrumpft Mond?

Bei der Prognose für das Jahr 2100 verwendete das Team um Shahvandi
einerseits ein günstiges Szenario mit einem starken Rückgang der
Treibhausgas-Emissionen: Das brachte kaum Veränderungen der klimabedingten
Tageslänge mit sich. Beim Szenario RCP8.5 war das anders: Wenn ein weiterer
Anstieg des Treibhausgas-Ausstoßes das Klima anheizt und die Polkappen immer
stärker schmelzen, ergibt sich eine klimabedingte Verlängerung des Tages um 2,62
Millisekunden pro Jahrhundert.

Der Effekt wäre dann größer als durch die Gezeitenkräfte des Mondes, die zu
einer Verlängerung des Tages um 2,40 Millisekunden pro Jahrhundert
führen./fm/DP/zb

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