14.05.2024 16:07:25 - dpa-AFX: ROUNDUP: Scholz fordert Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro

BERLIN (dpa-AFX) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich für eine Erhöhung des
Mindestlohns auf schrittweise 15 Euro in Deutschland ausgesprochen. Damit löste
der SPD-Politiker teils heftige Kritik beim Koalitionspartner FDP, der
oppositionellen Union und Deutschlands Arbeitgebern aus. Grüne, Gewerkschaften
und Sozialverbänden begrüßten die Ankündigung.

"Ich bin klar dafür, den Mindestlohn erst auf 14 Euro, dann im nächsten
Schritt auf 15 Euro anzuheben", sagte Scholz dem "Stern". Gleichzeitig übte er
Kritik an der Mindestlohnkommission. "Die Arbeitgeber haben nur auf einer
Mini-Anpassung beharrt." Außerdem hätten sie mit der Tradition gebrochen,
einvernehmlich zu entscheiden. "Das war ein Tabubruch", sagte Scholz. "Die
Kommission sollte zu einem einheitlichen Verfahren zurückkehren." Aktuell ist
vorgesehen, den Mindestlohn im kommenden Jahr von derzeit 12,41 Euro auf 12,82
Euro anzuheben.

Arbeitgeber und FDP dagegen

Der Arbeitgeberverband BDA warf Scholz Einmischung in die Festlegung des
Mindestlohns vor. "Wenn Politik und Gewerkschaften weiter die Verhandlungen zum
Mindestlohn in der Presse führen, dann kann man die Mindestlohnkommission auch
gleich auflösen", kritisierte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. "Wenn jemand
einen Tabubruch begeht, dann der Bundeskanzler. Er hat zugesagt, nicht mehr in
die Arbeit der Mindestlohnkommission eingreifen zu wollen", sagte Dulger weiter.
Für die Wirtschaft, die Arbeitsplatzsicherheit und die Tarifautonomie ist es
nach den Worten des BDA-Chefs "brandgefährlich, aus wahlkampftaktischen Gründen
den Druck auf die Mindestlohnkommission stetig zu erhöhen ? und das bereits mehr
als ein Jahr vor der nächsten Entscheidung".

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte am in Berlin: "Wir sind
richtigerweise in einer sozialen Marktwirtschaft und nicht Planwirtschaft. Und
deswegen halte ich es für richtig, dass die Mindestlohnkommission das Ganze
macht, und dass das Ganze kein politischer Spielball wird." FDP-Generalsekretär
Bijan Djir-Sarai betonte, die Politik habe sich aus der Festlegung des
Mindestlohns herauszuhalten. "Willkürliche staatliche Eingriffe stören das
Vertrauen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und schaden unserem Land",
sagte Djir-Sarai dem "Stern". FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler mahnte: "Es wäre
falsch, die Arbeit der Mindestlohnkommission durch politische Einflussnahme zu
untergraben."

Laumann für Koppelung an mittleren Lohn

Deutliche Kritik kam auch aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Die richtige
Lohnfindung ist keine Aufgabe der Politik, sondern der Tarifpartner", sagte ihr
Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei in Berlin. Wenn man das
Gefühl habe, dass in der Mindestlohnkommission keine sachgerechten Lösungen
herauskämen, dann könne man gegebenenfalls über eine Anpassung der Mechanismen
nachdenken. "Was aber mit Sicherheit nicht funktioniert, ist, dass man
regelmäßig den Mindestlohn politisch, sozusagen im luftleeren Raum festlegt."

Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Karl-Josef Laumann sagt dem "Stern":
"Die SPD steigt bereits jetzt in den Wahlkampf über den Mindestlohn ein." Er
lehne "eine willkürliche Festlegung durch die Politik" ab. Der
nordrhein-westfälische Arbeitsminister sagte zugleich: "Wir brauchen einen neuen
Mechanismus für eine faire Lohnuntergrenze." Mit der letzten Erhöhung um 41 Cent
sei nicht einmal die Inflation ausgeglichen worden. Laumann plädierte für eine
Kopplung des Mindestlohns an die Entwicklung des mittleren Lohns. "Es wäre gut,
wenn die Sozialpartner sich auf solch einen Mechanismus verständigen könnten."

AfD-Chef Tino Chrupalla warf Scholz am Dienstag ein "billiges
Wahlkampfmanöver vor. Lohnerhöhungen seien nicht Sache der Politik. Die
Äußerungen des Kanzlers zeugten vom Überlebenskampf einer untergehenden SPD.

Grüne für 60 Prozent des mittleren Lohns

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann verwies auf die Position ihrer
Fraktion, wonach ihre Fraktion für einen Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des
europäischen Medianlohns ist, also jenes Lohns, der genau in der Mitte der
Verteilung liegt. Daraus ergäben sich für Deutschland für das laufende Jahr 14
Euro, für das kommende 15 Euro. "Uns geht es um faire Löhne, gute Arbeit. Das
wäre ein wichtiger Schritt dahin." Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich
unterstützt eine schrittweise Anhebung auf 15 Euro "sehr", wie er sagte. Der
Vorsitzende der Linken-Gruppe im Bundestag, Sören Pellmann, sprach von einem
"historischen Tag", dass Scholz eine Kernforderung der Linken übernommen habe,
den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen.

Auch Stefan Körzell, DGB-Vorstandsmitglied und Mitglied der
Mindestlohnkommission, forderte einen Mindestlohn, wie ihn die europäische
Mindestlohnrichtlinie vorsehe. "Die Richtlinie nennt 60 Prozent vom mittleren
Einkommen von Vollzeitbeschäftigten als Maßstab, im Moment entspricht das knapp
über 14 Euro." Natürlich seien im nächsten Jahr 15 Euro drin, weil die
Entwicklung ja weitergehe und die Preise stiegen.

Entscheidung mitten im Wahlkampf

Turnusgemäß werde die Mindestlohnkommission erst Mitte 2025 über die
nächsten Erhöhungsschritte entscheiden, so Körzell. "Ihr Beschluss fällt damit
unmittelbar in die Hochphase des nächsten Bundestagswahlkampfes, wird also
hochpolitisiert sein." Der DGB wolle an der Mindestlohnkommission festhalten. In
einer Patt-Situation müssten aber unterschiedliche Interessenlagen per
Schlichtung in Einklang gebracht werden. Die Vorsitzende des Sozialverbands
Deutschland, Michaela Engelmeier, sagte, Scholz werde sich nun an seinen
Ankündigungen messen lassen müssen. "Das darf jetzt nicht nur ein frühzeitiges
Wahlkampfgetöse sein."/bw/DP/men

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH