14.06.2024 13:33:30 - dpa-AFX: Cum-Ex-Prozess gegen Bankier Olearius soll eingestellt werden

BONN (dpa-AFX) - Der Cum-Ex-Strafprozess gegen den Hamburger Bankier
Christian Olearius (82) soll wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit des
Angeklagten eingestellt werden. Das habe die Staatsanwaltschaft beantragt, wie
das Bonner Landgericht am Freitag mitteilte. Hintergrund hierfür ist ein vom
Gericht eingeholtes medizinisches Gutachten, dem zufolge der Angeklagte einen so
schlechten Gesundheitszustand hat, dass die Verhandlungstage künftig maximal 45
Minuten dauern dürften. Bei so einem Zeitpensum würde die noch ausstehende
Beweisaufnahme nach Schätzung der Ankläger bis zu 120 Verhandlungstage dauern -
dies wäre dem Angeklagten auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft angesichts der
gesundheitlichen Risiken nicht zuzumuten.

Olearius hat unter anderem Blutdruckprobleme, bei den vergangenen
Verhandlungstagen war auf Anordnung des Gerichts stets ein Notarzt im Saal
anwesend. Laut Mitteilung des Gerichts vom Freitag hat die Staatsanwaltschaft
zudem beantragt, das Strafverfahren in ein sogenanntes Einziehungsverfahren
überzuleiten und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten in Höhe von rund 43
Millionen Euro anzuordnen. Die Verteidigung habe sich dem entgegengestellt. Sie
fordere einen Freispruch und nur hilfsweise eine Einstellung des Prozesses. Der
Prozess soll am kommenden Mittwoch fortgesetzt werden.

Olearius ist angeklagt wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung. Er
hatte im Prozess seine Unschuld beteuert und sich auf seine Unwissenheit
berufen. "Ich habe weder wissentlich noch willentlich an strafbaren
Cum-Ex-Geschäften mitgewirkt", hatte er in Bonn ausgesagt. Er sei vielmehr von
legalen Aktienkaufverträgen ausgegangen. "Eine Schädigung des Staates lag mir
fern."

Der Cum-Ex-Betrug mit illegalen Aktiendeals gilt als größter Steuerskandal
der Bundesrepublik. Dabei wurden Papiere mit ("cum") und ohne ("ex")
Dividendenansprüche in kurzer Zeit zwischen Finanzakteuren hin- und
hergeschoben. Am Ende erstattete der Fiskus Banken, Aktienhändlern und Beratern
unwissentlich Kapitalertragssteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Dem
deutschen Staat soll durch die Geschäfte von insgesamt rund 1700 Beschuldigten
ein Schaden geschätzten zehn Milliarden Euro entstanden sein.

Aus Tagebucheinträgen von Olearius ging hervor, dass er sich dreimal mit dem späteren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) getroffen hatte, als dieser noch
Bürgermeister von Hamburg war. Der genaue Inhalt der Treffen ist unklar. Fakt
ist aber, dass die Finanzbehörde danach eine Forderung fallenließ und die
Ansprüche daraufhin nach damaliger Rechtslage verjährten. Dass ein kausaler
Zusammenhang bestand zwischen den Scholz-Olearius-Treffen und der
Behördenentscheidung, ist nicht erwiesen. Scholz schließt eine politische
Einflussnahme aus, beruft sich bei der Frage nach dem genauen Inhalt der
Gespräche aber auf Erinnerungslücken./fc/DP/mis

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