07.07.2024 14:26:47 - dpa-AFX: ROUNDUP: Rege Wahlbeteiligung in Frankreich - Rechtsruck absehbar

PARIS (dpa-AFX) - In Frankreich läuft die zweite Runde der vorgezogenen
Parlamentswahl. Dabei entscheidet sich, wie stark der erwartete Rechtsruck in
dem wichtigen Nachbarland ausfällt - und ob die Rechtsnationalen von Marine Le
Pen sogar an die Regierung kommen könnten. Bis zum Mittag gab bereits gut jeder
vierte Wahlberechtigte seine Stimme ab.

Um 12.00 Uhr lag die Beteiligung bei 26,63 Prozent, wie das Innenministerium in Paris mitteilte. Beim ersten Wahlgang vor einer Woche hatte die Beteiligung
insgesamt bei 66,71 Prozent gelegen und am Mittag bei 25,9 Prozent.

Bei der letzten regulären Parlamentswahl 2022 lag die Wahlbeteiligung im
zweiten Wahlgang am Mittag bei 18,99 Prozent, woraus man das für französische
Verhältnisse starke Interesse für die vorgezogene Wahl ablesen kann. Die letzten
Wahllokale schließen am Abend um 20.00 Uhr. Dann wird auch mit Hochrechnungen
zum Wahlausgang gerechnet.

Rechtsruck hat auch Auswirkungen auf Europa

Die Französinnen und Franzosen stimmen über die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung ab. Vor allem aber dreht sich alles um die Frage: Hat
Präsident Emmanuel Macron mit der überraschenden Neuwahl den Rechten den Weg zur
Macht geebnet? Dies wäre ein Einschnitt in der Geschichte des Landes und hätte
auch für die europäische Politik große Auswirkungen.

Letzte Umfragen sehen keine absolute Mehrheit für das in Führung liegende
Rassemblement National (RN) von Le Pen. Demnach kämen die Rechtsnationalen und
ihre Verbündeten auf 205 bis 240 Sitze, mehr als doppelt so viel als sie bisher
haben. Sie würden zwar die absolute Mehrheit von 289 Sitzen deutlich verfehlen,
aber dennoch erstmals stärkste Kraft in der Nationalversammlung, was einen
historischer Rechtsruck in Frankreich bedeuten würde.

Demütigende Niederlage für Macron erwartet

Auf Rang zwei liegt demnach das für die vorgezogene Parlamentswahl gebildete neue Linksbündnis aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und Linkspartei. Das
Mitte-Lager von Präsident Macron muss laut den Umfrageinstituten mit einer
demütigenden Niederlage rechnen, es liegt in den jüngsten Erhebungen auf Rang
drei.

Das Macron-Bündnis steht nach dem Machtpoker mit der vom Präsidenten
vorgezogenen Parlamentswahl also absehbar vor einem Scherbenhaufen und wird im
Parlament aller Voraussicht nach nur noch in stark reduzierter Zahl vertreten
sein. Der einst als Erneuerer und Verfechter eines starken Europas gefeierte
Macron dürfte nach dieser Blamage im In- und Ausland an Gewicht verlieren.

Wird RN-Chef Bardella Premierminister?

Erwartet wird unabhängig vom Wahlausgang, dass die bestehende Regierung von
Premierminister Gabriel Attal noch einige Tage geschäftsführend im Amt ist, bis
über die Bildung einer künftigen Regierung Klarheit herrscht. Das könnte
allerdings dauern - die Situation ist so verfahren wie lange nicht.

Sollte das RN eine absolute Mehrheit erringen, stünde Macron unter dem
politischen Zwang, erstmals einen Premierminister aus den Reihen der
Rechtsnationalen - etwa RN-Chef Jordan Bardella - zu ernennen.

Damit gäbe es in Frankreich erstmals seit 1997 wieder eine sogenannte
Kohabitation. Das bedeutet, dass Präsident und Premierminister unterschiedliche
politische Richtungen vertreten.

Konservative könnten Königsmacher sein

Bei einer starken relativen Mehrheit für das RN wird damit gerechnet, dass
dieses versucht, weitere Abgeordnete der bürgerlich-konservativen Républicains
(LR) auf seine Seite zu ziehen, um Entscheidungsmacht im Parlament zu erlangen.

Die ehemalige Volkspartei hatte sich im Anlauf zur Wahl gespalten. Ihr
Vorsitzender Éric Ciotti hatte unabgestimmt mit seiner Partei eine Kooperation
mit dem RN vereinbart, nur eine kleinere Zahl von Abgeordneten folgte ihm aber.

Drohender Stillstand

Offen ist im Moment, wie es in Frankreich weitergeht, wenn der
Schulterschluss der meisten anderen Parteien gegen das RN tatsächlich
funktioniert. Denn die übrigen Lager - einschließlich der wiedererstarkten
Sozialisten - haben bereits klargemacht, dass sie nicht in einer Art nationalen
Koalition miteinander regieren wollen. Dann könnte die aktuelle Regierung als
Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden.
Neue Vorhaben könnte eine solche Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg
bringen
- Frankreich droht damit politischer Stillstand.

Macron hatte nach dem Sieg von Le Pens Rassemblement National bei der
Europawahl Anfang Juni die Nationalversammlung aufgelöst und eine Neuwahl
angekündigt. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen
Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per
Misstrauensvotum die Regierung stürzen./evs/DP/he

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