16.05.2024 06:34:58 - dpa-AFX: ROUNDUP: Attentat auf Regierungschef Fico erschüttert Slowakei

BRATISLAVA (dpa-AFX) - Ein Attentat auf Regierungschef Robert Fico hat das
EU- und Nato-Land Slowakei in einen Schockzustand versetzt. Bis Donnerstagmorgen
herrschte Ungewissheit über den Gesundheitszustand des 59-Jährigen, der sich
noch am Mittwoch einer mehrstündigen Notoperation in der Regionalhauptstadt
Banska Bystrica unterziehen musste. Innenminister Matus Sutaj Estok und
Verteidigungsminister Robert Kalinak, der auch stellvertretender Regierungschef
ist, hatten am Mittwochabend direkt in der Klinik verkündet, Ficos Zustand sei
lebensbedrohlich und "außerordentlich ernst". Am frühen Morgen berichteten
slowakische Medien, Fico habe nach der Operation wieder das Bewusstsein erlangt.
Allerdings nannten weder der Fernsehsender TA3 noch die Zeitung "Dennik" Details
zum Gesundheitszustand des Regierungschefs.

Das Attentat auf Fico löste auch international Bestürzung aus. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat auf Fico "unerträglich". "Ich wünsche ihm, dass
er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt", sagte Scholz. US-Präsident Joe
Biden sprach von einer "schrecklichen Gewalttat". "Unsere Gedanken sind bei
seiner Familie und dem slowakischen Volk", erklärte er.

In der Slowakei kam die ansonsten hitzig geführte politische Debatte zum
Stillstand. Eine turbulente Parlamentssitzung wurde am Mittwochnachmittag
abgebrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt. Die liberalen Oppositionsparteien
sagten vorerst alle politischen Kundgebungen ab. Ursprünglich hatten sie just
für Mittwochabend zu einer Massendemonstration gegen die vom Linkspopulisten
Fico geführte Regierung und deren Plan einer Auflösung des
öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS aufgerufen.

Fico war um etwa 14.30 Uhr von einem Attentäter angeschossen worden, als er
sich nach einer Kabinettssitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlova ins Freie
begab, um wartende Anhänger zu begrüßen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza
veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den
Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt. Nach
Augenzeugenberichten soll der Täter den Politiker laut zu sich gerufen und dann
aus unmittelbarer Nähe fünf Schüsse auf ihn abgegeben haben. Der Regierungschef
habe ein sogenanntes "Polytrauma", also mehrere schwere Verletzungen erlitten,
teilte der Innenminister den Medien mit.

Berichten zufolge soll es sich bei dem Täter um einen 71-Jährigen namens
Juraj C. handeln, ehemals Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes.
Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht. Der Innenminister sagte bloß, der
Täter habe "ein klar politisches Motiv" gehabt, das habe eine erste Vernehmung
ergeben.

Der TV-Nachrichtensender TA3 und andere Medien bekamen eine Videoaufnahme
aus der Polizeistation zugespielt. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßliche
Attentäter: "Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu." Als Beispiel nannte er
mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Medienreform, gegen die
seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren. Auch die Frau des mutmaßlichen
Täters wurde nach Medienberichten von der Polizei verhört.

Fico hatte erst vor Kurzem der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima
der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen,
dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat
komme.

Fico ist Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen
Linkspartei Smer-SSD und seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker
der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Gegner nennen
ihn "prorussisch" und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie
Ungarn unter der Ägide des mit autoritären Mitteln regierenden
Ministerpräsidenten Viktor Orban führen zu wollen.

Tatsächlich aber hat die Slowakei im Unterschied zu Ungarn seit Ficos
Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland
mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt - einschließlich
der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung
eines Beitritts der Ukraine zur EU, nicht aber zur Nato. Die Sanktionen gegen
Russland lehnt Fico entgegen irreführender Medienberichte nicht grundsätzlich
ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen der von russischem Gas, Öl und
Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Stattdessen verlangt
er Sanktionen, die Russland empfindlicher treffen./ct/DP/zb

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