16.05.2024 09:51:23 - dpa-AFX: ROUNDUP/Vizepremier: Ficos Zustand stabilisiert, aber weiter ernst

BRATISLAVA (dpa-AFX) - Der Zustand des slowakischen Ministerpräsidenten
Robert Fico hat sich nach dem Attentat "stabilisiert, ist aber weiterhin ernst".
Das sagte Ficos erster Stellvertreter in der Regierung, Verteidigungsminister
Robert Kalinak, am Donnerstag der Nachrichtenagentur TASR. Eine
Krankenhaussprecherin teilte mit, Fico sei fünf Stunden lang operiert worden.
Slowakische Medien hatten am frühen Morgen berichtet, Fico habe nach der
Operation wieder das Bewusstsein erlangt.

Wegen einer Informationssperre des Krankenhauses gab es nur zögerliche
Informationen und viele Spekulationen über den Gesundheitszustand des
Regierungschefs. Ein Attentäter hatte am Mittwoch auf den 59-Jährige geschossen.
Kalinak gilt als enger Vertrauter Ficos und ist auch in der Linkspartei Smer
sein Stellvertreter.

In der Nacht zum Donnerstag hatte Umweltminister Tomas Taraba der BBC
gesagt, nach seinem Kenntnisstand sei die Operation gut verlaufen, Fico befinde
sich "im Moment nicht in lebensbedrohlichem Zustand". Taraba ist einer von vier
Vertretern Ficos.

Der 59-jährige Regierungschef war am Mittwoch von einem Attentäter
angeschossen worden und musste sich in der Regionalhauptstadt Banska Bystrica
einer mehrstündigen Notoperation unterziehen. Die Polizei nahm den Angreifer
fest. Das Attentat hat das EU- und Nato-Land in einen Schockzustand versetzt und
löste international Bestürzung aus. Die slowakische Regierung wollte am
Donnerstag ab 11.00 Uhr zu seiner Sondersitzung zusammenkommen. Zeitgleich soll
auch der nationale Sicherheitsrat über die Lage beraten.

Nach Angaben von Innenminister Matus Sutaj Estok handelt es sich bei dem
Täter um einen 71-Jährigen aus der Kleinstadt Levice. Eine erste Vernehmung habe
ergeben, dass er ein "klar politisches Motiv" gehabt habe, nämlich die Ablehnung
der Regierungspolitik. Medienberichten zufolge soll Juraj C. in der
Vergangenheit für einen privaten Sicherheitsdienst gearbeitet und deshalb einen
Waffenschein besessen haben. Die Tatwaffe habe er legal besessen. In seiner
Heimatregion soll er sich nach Medienberichten auch als Schriftsteller versucht
haben.

Innenminister Sutaj Estok und Verteidigungsminister Robert Kalinak, der auch stellvertretender Regierungschef ist, hatten am Mittwochabend direkt in der
Klinik verkündet, Ficos Zustand sei lebensbedrohlich und "außerordentlich
ernst". Das Krankenhaus verhängte eine Informationssperre.

In der Slowakei kam die ansonsten hitzig geführte politische Debatte zum
Stillstand. Eine turbulente Parlamentssitzung wurde am Mittwochnachmittag
abgebrochen und auf unbestimmte Zeit vertagt. Die liberalen Oppositionsparteien
sagten vorerst alle politischen Kundgebungen ab. Ursprünglich hatten sie just
für Mittwochabend zu einer Massendemonstration gegen die vom Linkspopulisten
Fico geführte Regierung und deren Plan einer Auflösung des
öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS aufgerufen.

Fico war um etwa 14.30 Uhr von einem Attentäter angeschossen worden, als er
sich nach einer Kabinettssitzung im Kulturhaus der Kleinstadt Handlova ins Freie
begab, um wartende Anhänger zu begrüßen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza
veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den
Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt. Nach
Augenzeugenberichten soll der Täter den Politiker laut zu sich gerufen und dann
aus unmittelbarer Nähe fünf Schüsse auf ihn abgegeben haben. Der Regierungschef
habe ein sogenanntes "Polytrauma", also mehrere schwere Verletzungen erlitten,
teilte der Innenminister den Medien mit.

Der TV-Nachrichtensender TA3 und andere Medien bekamen eine Videoaufnahme
aus der Polizeistation zugespielt. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßliche
Attentäter: "Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu." Als Beispiel nannte er
mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Medienreform, gegen die
seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren. Auch die Frau des mutmaßlichen
Täters wurde nach Medienberichten von der Polizei verhört.

Fico hatte erst vor Kurzem der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima
der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen,
dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat
komme.

Fico ist Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen
Linkspartei Smer-SSD und seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker
der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich wie kaum ein anderer. Gegner nennen
ihn "prorussisch" und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie
Ungarn unter der Ägide des mit autoritären Mitteln regierenden
Ministerpräsidenten Viktor Orban führen zu wollen.

Tatsächlich aber hat die Slowakei im Unterschied zu Ungarn seit Ficos
Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland
mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt - einschließlich
der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung
eines Beitritts der Ukraine zur EU, nicht aber zur Nato. Die Sanktionen gegen
Russland lehnt Fico entgegen irreführender Medienberichte nicht grundsätzlich
ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen der von russischem Gas, Öl und
Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Stattdessen verlangt
er Sanktionen, die Russland empfindlicher treffen.

Bundeskanzler Olaf Scholz nannte das Attentat auf Fico "unerträglich". "Ich
wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt", sagte Scholz.
US-Präsident Joe Biden sprach von einer "schrecklichen Gewalttat". "Unsere
Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", erklärte
er./ct/DP/zb

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