25.06.2024 05:32:47 - dpa-AFX: Griechenland führt Sechs-Tage-Woche ein

ATHEN (dpa-AFX) - Startschuss 1. Juli: Arbeitgeber in Griechenland können
ihren Angestellten den Vorschlag unterbreiten, sechs anstatt bisher fünf Tage
die Woche zu arbeiten. Das Angebot könnte sich für die Beschäftigten lohnen: Für
den sechsten Arbeitstag erhalten sie qua Gesetz einen Aufschlag von 40 Prozent
mehr Gehalt, handelt es sich dabei um Sonn- und Feiertage, gibt es sogar 115
Prozent zusätzlich. Damit könnten die Griechen künftig mehr arbeiten als ohnehin
schon: Innerhalb der EU verzeichnen sie die meisten Wochenarbeitsstunden.

Gewerkschaften kritisieren das Gesetz trotz der geplanten Zusatzzahlungen
als Ausbeutung, doch Arbeitsminister Adonis Georgiadis lässt sich nicht beirren:
"Da vor allem in der Industrie ein großer Mangel an Arbeitskräften herrscht,
werden Überstunden geleistet - und die werden oft schwarz gezahlt",
argumentierte er bei der Debatte zum Gesetz im Parlament. Mit der neuen Regelung
hingegen erhielte jeder das Recht auf extra bezahlten Sondereinsatz und
Schwarzarbeit werde der Riegel vorgeschoben.

Der Fachkräftemangel in Griechenland ist vor allem auf die schwere
Finanzkrise des Landes von 2010 bis 2018 zurückzuführen. Damals stand das Land
kurz vor der Pleite und Hunderttausende gut ausgebildete junge Leute wanderten
ab, um ihr Glück im Ausland zu suchen. Von diesem Brain-Drain hat sich
Griechenland bis heute nicht erholt, auch wenn es mit der Wirtschaft
aufwärtsgeht.

Der Mangel an Arbeitskräften trotz einer Arbeitslosenquote von aktuell rund
11 Prozent betrifft nicht nur Industriebetriebe und den IT-Sektor, sondern vor
allem auch die Landwirtschaft und den Tourismus. Dort aber strebt die
konservative griechische Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis
andere Lösungen an. So wird versucht, Saisonkräfte für die Ernte sowie als
Service- und Reinigungskräfte Menschen aus Ägypten, Indien und anderen
Schwellenländern zu akquirieren.

Das neue Gesetz zur Sechs-Tage-Woche hingegen zielt auf Unternehmen ab, die
zwölf oder auch 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche den Betrieb
aufrechterhalten müssen - etwa Industriebetriebe, aber auch
Telekommunikationsunternehmen und andere Dienstleister. Auch der öffentliche
Sektor und Staatsunternehmen gehören zur Zielgruppe.

Die Mär von den arbeitsfaulen Griechen, wie sie während der Finanzkrise von
zahlreichen internationalen, vor allem auch deutschen Medien kolportiert wurde,
wird dadurch einmal mehr widerlegt. Laut Statistikbehörde Eurostat führen die
Griechen mit 39,8 Stunden die europäische Rangliste der Wochenarbeitsstunden an.
Für Deutschland verzeichnet die Auflistung im Schnitt 34 Wochenstunden. Über
Gebühr sollen jedoch auch die Griechen nicht arbeiten, wie das neue Gesetz aus
Athen festlegt: 48 Stunden pro Woche sind demnach das Maximum.

In Deutschland lobte zuletzt CSU-Chef Markus Söder das griechische Konzept
und forderte von den Deutschen mehr Fleiß. "In Griechenland gibt es jetzt zum
Beispiel eine Sechs-Tage-Woche, bei uns wird über eine Vier-Tage-Woche
diskutiert. So werden wir den Rückstand nicht aufholen. Wir müssen wieder mehr
arbeiten, aber mehr Arbeit muss sich dann auch lohnen", hatte er der
"Bild-Zeitung" gesagt./axa/DP/zb

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