13.05.2024 06:30:05 - dpa-AFX: ROUNDUP/Mitten im Krieg: Putin entlässt Verteidigungsminister Schoigu

MOSKAU (dpa-AFX) - Spekuliert worden war darüber bereits, doch es bleibt ein
spektakulärer Personalwechsel: Mehr als zwei Jahre nach Beginn des
Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin seinen
Verteidigungsminister und engen Vertrauten Sergej Schoigu entlassen. Schoigus
Nachfolger soll der bisherige Vize-Regierungschef Andrej Beloussow werden, wie
das Oberhaus des russischen Parlaments am Sonntagabend mitteilte. Dort waren
Putins Vorschläge für die Zusammensetzung der neuen russischen Regierung
eingegangen.

Schoigu soll nun Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates werden; diesen
Posten hat bislang Nikolai Patruschew bekleidet. Patruschews neue Verwendung
werde in Kürze bekanntgegeben, erklärte Kremlsprecher Dmitri Peskow.

Die Bildung einer neuen Regierung steht an, weil die alte nach der
Präsidentenwahl Mitte März verfassungsgemäß zurückgetreten ist. Bei der von
Betrugs- und Manipulationsvorwürfen überschatteten Abstimmung hatte sich der 71
Jahre alte Kremlchef am Ende zum haushohen Sieger ausrufen lassen; vor einigen
Tagen ließ er sich dann offiziell für seine mittlerweile fünfte Amtszeit
vereidigen. In der neuen Regierung gibt es einige Personalwechsel - keiner davon
ist aber auch nur annähernd so wichtig wie die Auswechslung Schoigus. So hält
Putin etwa weiter an Ministerpräsident Michail Mischustin fest. Weiter im Amt
bleibt zudem auch nach 20 Jahren der 74-jährige Außenminister Sergej Lawrow.

Ein offizieller Grund für die Entlassung Schoigus wurde nicht genannt.
Vereinzelt war allerdings über eine mögliche Entlassung des 68 Jahre alten
Schoigus, der seit 2012 Verteidigungsminister war, spekuliert worden. Vor
wenigen Wochen nämlich war einer von Schoigus Stellvertretern, Timur Iwanow,
wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Beobachter hatten das als Anzeichen
von Machtkämpfen innerhalb des russischen Militär- und Sicherheitsapparats
gewertet. Einige von ihnen sahen bereits da Schoigus Stuhl wackeln.

Putin verbindet mit Schoigu eine enge Freundschaft, die beiden haben immer
wieder auch zusammen demonstrativ Freizeit und Urlaub miteinander verbracht.
Putin hatte an dem Minister trotz aller Niederlagen und Pannen besonders zu
Beginn des Krieges Anfang 2022 festgehalten. Immer wieder hatte es nach den
ersten großen ukrainischen Erfolgen auf dem Schlachtfeld Spekulationen um eine
Ablösung gegeben, doch Putin gilt seinen Freunden als treu. Dass er Schoigu nun
zum Sicherheitsratschef macht, gilt als gesichtswahrende Lösung für den
langjährigen Weggefährten.

Putin hatte diesen Schritt zuvor lange gescheut - selbst, nachdem die Lage
vor einem Jahr im Juni mit einem Aufstand des Chefs der Privatarmee Wagner,
Jewgeni Prigoschin, eskaliert war. Prigoschin hatte Schoigu massive Korruption,
Führungsschwäche und Versagen in dem Krieg bescheinigt. Den Machtkampf mit der
russischen Militärführung verlor Prigoschin, der im August wie die gesamte
Wagner-Führung bei einem bislang nicht aufgeklärten Flugzeugabsturz ums Leben
kam. Aber vergessen waren die Skandale um Amtsmissbrauch und Veruntreuung von
Mitteln sowie Diebstahl in der russischen Militärführung nicht.

Schoigu galt danach zunächst als vermeintlicher Sieger der Machtspiele -
auch, weil er zuletzt immer wieder taktische Erfolge im Krieg vorweisen konnte.
So verzeichnete die russische Armee unter Schoigu etwa in den vergangenen
Monaten Gebietsgewinne im Raum Charkiw. Die dunklen Wolken über dem Minister
hätten sich wieder verzogen, hieß es von einigen Beobachtern.

Als wichtigster Mann an der Seite Schoigus freilich galt stets
Generalstabschef Waleri Gerassimow. Am Sonntagabend war zunächst unklar, ob er
seinen Posten behält oder auch gehen muss.

Russische unabhängige Experten sahen die jetzige Entscheidung des Kremlchefs nicht so sehr in einer Unzufriedenheit mit der Militärführung, sondern als
Schritt zu einer stärkeren Kontrolle der Ausgaben in diesem Krieg. Der avisierte
neue Verteidigungsminister Beloussow gilt als einer der profiliertesten Ökonomen
der russischen Führung.

Die Ernennung Beloussows als Schoigus Nachfolger deutet für einige Experten
zudem darauf hin, dass Putin den Krieg vor allem mit der Produktion in den
Rüstungsbetrieben gewinnen wolle. "In seiner Denkweise ist das logisch, weil
sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der
Sicherheits- und Militärapparat", sagte der Experte Alexander Baunow. Putins
Strategie sei es folglich, Druck auf die Ukraine nicht durch die Mobilmachung
neuer Soldaten auszuüben, sondern durch die Kapazitäten des Rüstungskomplexes.

Kremlsprecher Dmitri Peskow machte ebenfalls deutlich, dass die
Verteidigungsausgaben in Russland inzwischen so hoch seien, dass jemand wie
Beloussow der Mann sei, um den Bereich zu kontrollieren. Das
Verteidigungsressort nehme bei den Sicherheitsausgaben Russland inzwischen eine
Schlüsselposition ein, sagte Peskow. "Das erfordert besonders wichtige
Entscheidungen." Heute gewinne derjenige auf dem Schlachtfeld, der offen sei für
Innovationen und deren schnelle Einführung. Deshalb habe sich Putin für einen
Zivilisten im Amt entschieden, der die wirtschaftliche Entwicklung in den
vergangenen Jahren maßgeblich geprägt habe. Beloussow war unter anderem auch
Wirtschaftsberater Putins und zuletzt erster Vize-Regierungschef./haw/DP/zb

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