13.05.2024 13:26:28 - dpa-AFX: POLITIK: Ein Schlag ins Kontor für die AfD

MÜNSTER/BERLIN (dpa-AFX) - Für die AfD ist ihre erneute Niederlage gegen den
Verfassungsschutz, knapp vier vor der Europawahl, ein Rückschlag. Denn die nun
gerichtlich bestätigte Einstufung der Partei als rechtsextremistischer
Verdachtsfall durch den Inlandsgeheimdienst ist ein Makel, der im Kampf um
Wählerstimmen hinderlich sein kann. "Das befördert den Abstieg", glaubt der
Berliner Autor und Politikwissenschaftler Hajo Funke.

Zudem trifft das Urteil die Partei in einer Zeit, wo die Kurve der
bundesweiten Umfragewerte nach einer langen Phase des Aufschwungs nach unten
zeigt. Lag die AfD im Herbst 2023 zeitweise stabil über 20 Prozent, so
ermittelten die Meinungsforscher zuletzt Werte zwischen 16 und 18 Prozent. Die
mutmaßlichen Gründe für den Sinkflug: Erst ließ ein Medienbericht über ein
Vernetzungstreffen mit Rechtsextremisten bei einigen Bürgern Zweifel an der
Verfassungstreue von AfD-Politikern aufkommen. Auch dass mit dem Bündnis Sahra
Wagenknecht (BSW) jetzt ein weiterer Konkurrent auf dem Platz ist, dürfte der
AfD geschadet haben. Und dann musste sich die Parteispitze fragen lassen, wie es
um den selbsterklärten Patriotismus einiger führender AfD-Politiker bestellt
sei.

Denn Jian Guo, ein langjähriger Mitarbeiter des AfD-Spitzenkandidaten für
die Europawahl, Maximilian Krah, sitzt inzwischen wegen mutmaßlicher Spionage
für China in Untersuchungshaft. Krah selbst geriet ebenso in den Fokus der
Aufmerksamkeit wie der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron - wegen möglicher
Verbindungen zu prorussischen Netzwerken. Bystron ist Zweitplatzierter auf der
AfD-Kandidatenliste für die Europawahl am 9. Juni. Nachdem Medien über mögliche
Geldzahlungen berichtet hatten, wird außerdem bei beiden Politikern geprüft, ob
Ermittlungen aufgenommen werden sollten. Bei Krah wird zudem geprüft, ob es
Ermittlungen wegen möglicher chinesischer Zahlungen geben soll.

In dem Gutachten des Verfassungsschutzes, mit dem einst die Einstufung als
Verdachtsfall begründet wurde, hatten diese Vorkommnisse, mit denen sich
inzwischen die Spionageabwehr-Abteilung der Behörde beschäftigt, noch keine
Rolle gespielt.

- Was der Verfassungsschutz jetzt macht: Er kann die AfD weiterhin als
sogenannter Verdachtsfall beobachten. Das tut der Nachrichtendienst bereits seit
März 2021. Allerdings liegt es in der Natur eines Verdachts, dass dieser eines
Tages bestätigt oder ausgeräumt werden muss. Nach einem Ende der Beobachtung
sieht es zurzeit nicht aus. Schließlich hat Behördenleiter Thomas Haldenwang
mehrfach betont, er sehe die Partei weiterhin auf dem Weg nach "rechts außen".

Normalerweise nimmt sich die Behörde etwa zwei Jahre Zeit, um einem Verdacht nachzugehen. Manchmal, wenn sich gerade viel verändert in einer Partei oder
Organisation, warten die Verfassungsschützer aber auch noch länger ab und
aktualisieren dann immer wieder ihre Einschätzung. Dass es diesmal deutlich
länger dauert, hängt auch mit dem Prozess in Münster zusammen. Denn in der Regel
wartet man den Ausgang eines solchen Verfahrens ab. Schließlich finden sich in
der Begründung meist wichtige Hinweise darauf, wie stichhaltig bestimmte
Argumente aus Sicht der Justiz sind.

So erklärt der Senat in seinem Urteil beispielsweise, die vom
Verfassungsschutz präsentierten Hinweise auf eine Missachtung der Menschenwürde
von Ausländern und Muslimen durch die AfD seien ausreichend. Die Richter sehen
auch Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen, allerdings "nicht in
der Häufigkeit und Dichte, wie vom Bundesamt angenommen". Und sie betonen, dass
es keinen Automatismus gibt, wenn sie in ihrer Mitteilung schreiben: "Was für
einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausreicht, führt aber auch
nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung."

- Die Junge Alternative und die Landesverbände: Formal steht ein laufendes
Verfahren einer Entscheidung des Verfassungsschutzes, die dann auch wieder
gerichtlich angefochten werden kann, nicht unbedingt entgegen. Das zeigt der
Fall der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA). Die hat der
Verfassungsschutz im April 2023 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung
eingestuft, wogegen beim Oberverwaltungsgericht in Münster nun auch eine Klage
anhängig ist. In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurde diese Einstufung
bereits für den jeweiligen Landesverband der Partei vorgenommen.

Falls das Bundesamt diesen Schritt auch für die AfD als Gesamtpartei in
Erwägung ziehen sollte, wird es wohl vor allem darum gehen, wer in der Partei
wie viel Einfluss hat. Denn in der AfD gibt es durchaus noch Überreste der
rechtskonservativen beziehungsweise wirtschaftsliberalen Kräfte der
Anfangsjahre, als die Alternative für Deutschland noch als "Professorenpartei"
galt. Die Frage ist aber, ob sich diese gegen den Willen der Radikalen überhaupt
noch durchsetzen können. Nicht notwendig für eine Einstufung der Bundespartei
als gesichert rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt ist dagegen, dass erst
alle Landesverbände in diese Kategorie fallen müssen.

- Was die AfD jetzt macht: Die Partei fährt zweigleisig. Sie kritisiert das
Gericht, das ihren Anträgen angeblich nicht genügend Zeit gewidmet habe, und
hebt zugleich die Punkte der Urteilsbegründung hervor, in denen der Senat der
Argumentation des Verfassungsschutzes nicht hundertprozentig gefolgt ist.
Gleichzeitig kündigt sie an, Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig
einlegen zu wollen. Eine inhaltliche Prüfung der Vorwürfe ist dort zwar nicht
vorgesehen. Für die AfD, die schon während des Verfahrens in Münster gesagt
hatte, Revisionsgründe werde es sicher geben, ist es dennoch wichtig, sagen zu
können, das letzte Wort in der Sache sei noch nicht gesprochen.

- Forderungen nach einem Verbot: Vor allem Politiker der Linken sowie einige Landespolitiker anderer Parteien sind überzeugt, die AfD sollte verboten werden.
Die rechtlichen Hürden für ein solches Verbot sind aber hoch, sodass damit
vorerst nicht zu rechnen ist. Der Grünen-Rechtspolitiker Till Steffen hatte im
April in einem Interview angeregt: "Nach dem Urteil sollten wir eine Debatte im
Bundestag über einen AfD-Verbotsantrag führen und weitere Vorbereitungen
treffen." Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung sind als einzige
Verfassungsorgane berechtigt, einen Antrag auf ein Parteiverbot zu stellen. Die
Entscheidung über einen solchen Antrag trifft das Bundesverfassungsgericht.

- Noch ein Verfahren: Am Dienstag könnte das Landgericht Halle, das über
eine Äußerung des Thüringer Landes- und Fraktionsvorsitzenden der AfD, Björn
Höcke, zu entscheiden hat, das Urteil verkünden. Hier geht es um eine Rede von
Höcke vom Mai 2021 in Merseburg (Sachsen-Anhalt). Dabei soll er einen verbotenen
Nazi-Spruch verwendet haben. Er hat dafür maximal eine Geldstrafe zu befürchten.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, in der Rede wissentlich eine Parole der
Sturmabteilung (SA) der NSDAP verwendet zu haben. Höcke, der vor seinem Einzug
in den Thüringer Landtag Geschichtslehrer war, hat dies vor Gericht
zurückgewiesen.

- Wer gibt bei der AfD den Ton an?: Aus Sicht von Funke, der mehrere Bücher
über die AfD veröffentlicht hat, ist Höcke die mächtigste Figur in der Partei.
Dabei hat er nie für den Bundesvorstand kandidiert. Die Co-Vorsitzenden, Alice
Weidel und Tino Chrupalla, können sich nach Einschätzung des Politologen nur
deshalb schon länger an der Parteispitze halten, weil sie sich Höckes Vorgaben
nicht widersetzen. Funke sagt, er habe den Eindruck, dass sich "Weidel dabei
unwohl fühlt", Chrupalla dagegen sei "nach rechts flexibler"./abc/DP/jha

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