17.06.2024 12:40:33 - dpa-AFX: POLITIK/Meldestelle: Vorfälle gegen Sinti und Roma verdoppelt

BERLIN (dpa-AFX) - Diskriminierung bei Behörden, Beschimpfungen,
gewalttätige Übergriffe: 1233 Vorfälle und Straftaten gegen Sinti und Roma hat
die Antiziganismusmeldestelle MIA im vergangenen Jahr erfasst - fast doppelt so
viele wie ein Jahr zuvor. Die Meldestelle erklärt den starken Anstieg in ihrem
Jahresbericht 2023 zwar auch damit, dass Vorfälle häufiger angezeigt werden. Der
Zentralrat der Sinti und Roma sieht dennoch eine dramatische Entwicklung.

"Das bereitet uns große Sorge vor dem Hintergrund der Geschichte", sagte der Zentralratsvorsitzende Romani Rose am Montag mit Blick auf die Ermordung von 500
000 Sinti und Roma während der NS-Zeit. Die Politik müsse alle
Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen. Vor allem gebe es eine "dramatische,
bedrohliche, beängstigende Zunahme von Antiziganismus mit Gewalt".
Antiziganismus bezeichnet eine Form des Rassismus, die sich gegen die Minderheit
der Sinti und Roma richtet.

Hakenkreuze an Grabstelle

MIA erfasste zehn Fälle "extremer Gewalt". Hinzu kamen 40 Angriffe, 46
Bedrohungen und 27 Sachbeschädigungen. MIA-Vorstandschef Silas Kropf berichtete
etwa, dass eine Grabstätte von Sinti und Roma mit Hakenkreuzen beschmiert worden
sei. In Solingen habe es einen Fall von Brandstiftung gegeben. Antiziganistische
Parolen etwa in Fußballstadien und Propaganda rechter Parteien stachelten Gewalt
gegen Sinti und Roma an, sagte Kropf.

Bei der Mehrzahl der gemeldeten Fälle handelt es sich jedoch um
Verunglimpfung, Ausgrenzung und Diskriminierung. So seien 600 Fälle "verbaler
Stereotypisierung" erfasst worden, also herabwürdigende Äußerungen im Alltag.
Kropf nannte als Beispiel den Satz einer Lehrerin zur Anmeldung einer Romni zum
Abitur: "Warum gibst du dir so viel Mühe, obwohl du sowieso nicht lange bleiben
und wahrscheinlich in einem Monat heiraten wirst?"

Polizeihund beißt gefesselten Rom

Bei weiteren 502 gemeldeten Vorfällen ging es um Diskriminierung, und davon
wiederum ein Viertel bei Behörden wie Sozial- oder Jugendämtern oder auch bei
der Polizei. "In 83 der gemeldeten Vorfälle waren Polizeikräfte in
unterschiedlicher Weise beteiligt", sagte Kropf. Der MIA-Bericht nennt das
Beispiel eines Vaters, der rechtsradikale Parolen auf dem Schulhof seines Sohnes
anzeigen wollte. Auf der Polizeidienststelle sei er mit den Worten abgewiesen
worden: "Soll ich mal bei dir schauen, was du gegebenenfalls alles auf dem
Kerbholz hast?"

In drei Fällen hätten Polizistinnen oder Polizisten extreme Gewalt ausgeübt, sagte Kropf. So hätten Beamte in einem Wohnheim für Geflüchtete ihren
Polizeihund auf einen am Boden liegenden, bereits mit Handschellen gefesselten
Mann losgelassen. Das Tier habe den Rom schwer verletzt.

In Deutschland leben Schätzungen zufolge bis zu 150 000 deutsche Sinti und
Roma sowie etwa hunderttausend zugewanderte Roma. Die Melde- und
Informationsstelle Antiziganismus Bund (MIA) wurde 2022 gegründet und unterhält
mehrere regionale Meldestellen. Sie wird vom Bundesinnenministerium
gefördert./vsr/DP/mis

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