16.05.2024 09:28:21 - dpa-AFX: WDH/HINTERGRUND: Freundschaft ohne Grenzen? Putin besucht China

(Im achten Absatz wurde bei der Umrechnung von Dollar in Euro die
Größenordnung klargestellt: Milliarden statt Millionen)

MOSKAU/PEKING (dpa-AFX) - Symbolträchtig führt die erste Auslandsreise nach
seiner Amtseinführung Russlands Präsidenten Wladimir Putin nach China. Mit der
aufgehenden Sonne landete sein Flugzeug am Donnerstag auf dem Pekinger
Hauptstadtflughafen. Staats- und Parteichef Xi Jinping empfing seinen "alten
Freund" mit allen Ehren und umjubelt von Kindern an der Großen Halle des Volkes
wie sonst selten einen Staatsgast. Die zweitägige Visite soll die Qualität der
Beziehungen sichtbar demonstrieren. "Die Russland-China-Beziehungen haben das
höchste Niveau erreicht und trotz der schwierigen weltweiten Lage werden sie
stärker", sagte der Kremlchef vorab Chinas Staatsagentur Xinhua.

Peking ist wirtschaftlich und politisch Moskaus wichtigster Partner. Putins
letzter Staatsbesuch war 2018. Im vergangenen Herbst reiste der 71-Jährige für
ein internationales Forum nach Peking und sprach Xi am Rande persönlich. Eigenen
Angaben zufolge traf er den Chinesen schon mehr als 40 Male. Während der Westen
auf den russischen Angriff auf die Ukraine mit Sanktionen reagierte, hat Peking
die Invasion nicht verurteilt, gibt sich neutral und Russland im
UN-Sicherheitsrat Rückendeckung. Bereits vor dem Überfall einigten sich beide
auf eine Freundschaft "ohne Grenzen". Xi sagte Putin erneut Chinas
Zusammenarbeit zu.

Allianz gegen Westen

"Moskau und Peking werden die Gelegenheit nutzen, um ihre enge Partnerschaft und die gemeinsamen Ambitionen zu unterstreichen, die globale Ordnung zu
reformieren und einen Gegenpol zu den USA zu bilden", sagt Analystin Helena
Legarda vom China-Forschungsinstitut Merics in Berlin. Ihr zufolge dürften die
beiden auch den Gaza-Krieg und Kritik an den USA sowie eine mögliche Umgehung
westlicher Sanktionen besprechen.

Natürlich geht es für Putin in erster Linie darum, die Allianz gegen den
Westen zu stärken. Einerseits ist der Schulterschluss als Geste nach außen
wichtig, um zu zeigen, dass Moskau nicht isoliert ist. Andererseits hofft der
Kreml auf wohlwollende Neutralität in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine.

China bei Konferenz in der Schweiz?

Moskau will auf keinen Fall, dass Vertreter Pekings an der Friedenskonferenz in der Schweiz am 15. und 16. Juni teilnehmen. China hat noch nicht zugesagt,
gilt wegen seines Einflusses auf Moskau jedoch als entscheidender Teilnehmer.
Demonstrativ hat Putin daher die chinesische "Friedensinitiative" gelobt, in der
von "legitimen Sicherheitsinteressen" aller Staaten die Rede ist.

China hatte vor mehr als einem Jahr einen Zwölf-Punkte-Plan zur Beilegung
der "Ukraine-Krise" veröffentlicht. Darin forderte Peking, die Bedenken aller
Länder ernst zu nehmen. Detaillierte Lösungsvorschläge kamen aber nicht vor,
weshalb der Plan international auf Kritik stieß. Moskau hat den Angriff gegen
die Ukraine immer auch mit der Verteidigung eigener Sicherheitsinteressen
begründet.

Schon bei der Visite von Russlands Außenminister Sergej Lawrow im April
versuchte der russische Top-Diplomat eine gemeinsame Linie mit China zu
erarbeiten. Beide Länder seien entschlossen, eine multipolare Welt zu schaffen
und sich Versuchen widersetzen, die "lang überfälligen Prozesse der
Demokratisierung und Gerechtigkeit zu bremsen." Genau das würden die USA und
ihre Verbündeten nämlich versuchen, behauptete Lawrow.

Handel floriert

Der Handel der Nachbarn erreicht vor diesem Hintergrund ein Rekordhoch. Im
vergangenen Jahr stieg das Handelsvolumen zwischen Russland und China um 26
Prozent auf 240 Milliarden Dollar (umgerechnet mehr als 220 Milliarden Euro).
Die Tendenz hielt auch im ersten Quartal 2024 an. Knapp 77 Milliarden Dollar
bedeuten ein Plus von 4,7 Prozent gegenüber dem vergleichbaren
Vorjahreszeitraum. Wobei Russland vor allem Öl, Gas und Kohle, Kupfererz, Holz
und Meeresfrüchte verkauft, während es aus China die Waren bezieht, die es zuvor
großteils im Westen erwarb, also Maschinen, Autos, Smartphones und Computer.

Was Putin trotz der auf den ersten Blick imposanten Zahlen nicht gefallen
dürfte: Der Import aus China ging im ersten Quartal leicht zurück, was wohl
daran liegt, dass Peking unter dem Druck des Westens die Ausfuhr von
Sanktionsgütern an Russland einschränkte. Zudem haben chinesische Banken jüngst
die Forderungen an russische Klienten verschärft, um sich gegen Folgesanktionen
der USA abzusichern. Washington will Moskau von Gütern abschneiden, die für
zivile und militärische Zwecke genutzt werden können, und chinesische Banken ins
Visier nehmen, die Überweisungen für solche Geschäfte tätigen. Die
Einschränkungen im Zahlungsverkehr sind für Moskau extrem lästig.

Xi jüngst erst in Europa

Doch anders als Russland hat China noch Spielraum bei den Beziehungen mit
westlichen Staaten. Putin besucht das "Reich der Mitte" nur kurze Zeit nach Xis
Europareise, die den Chinesen nach Frankreich, Ungarn und Serbien führte. Der
chinesische Staatsfunk feierte den Besuch als Erfolg. Beim Thema Ukraine-Krieg
wurden in Paris, Budapest und Bukarest allerdings keine Fortschritte erzielt.
China sieht Frankreich als eine "Brücke zwischen dem Westen und China", wie die
staatliche "Global Times" titelte. Das mächtige EU-Land könnte helfen, Europa zu
beeinflussen.

In Ungarn hat China bereits ein wohlgesonnenes und russlandfreundliches
Partnerland und EU-Mitglied, das regelmäßig Entscheidungen Brüssels bremst. Auch
der EU-Aspirant Serbien pflegt mit Peking und Moskau seit Jahren eine enge
wirtschaftliche Partnerschaft.

Mehr Gas für China?

Wirtschaftsthemen spielen bei Putins Besuch eine Rolle. Russland will den
Ausbau der Gaspartnerschaft vorantreiben. 2023 kamen über die Pipeline namens
Kraft Sibiriens 22,7 Milliarden Kubikmeter Gas nach China - die Kapazität der
Leitung kann auf 38 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ausgebaut werden. Doch Moskau
träumt schon von einem Nachfolgeprojekt Kraft Sibiriens 2 mit einer Kapazität
von 50 Milliarden Kubikmeter. Das soll die weggefallenen Lieferungen gen Westen
wettmachen.

Bislang sind die Parameter für das ambitionierte und milliardenschwere
Projekt allerdings nicht vereinbart, auch weil sich China nicht zu sehr binden
will und weiter auf eine Diversifizierung der Lieferungen setzt. Womöglich muss
Russland weitere Rabatte auf sein Gas geben.

In Europa wird der Besuch genau verfolgt. Besonders dürften Äußerungen zum
Ukraine-Krieg genau beobachtet werden. Expertin Legarda ist da eher
pessimistisch: "Europa sollte von Peking keine Änderung seiner Haltung zum Krieg
in der Ukraine erwarten."/bal/DP/jha

--- Von André Ballin und Johannes Neudecker ---

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