16.05.2024 09:25:18 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Einfache Regeln für komplexe Familienverhältnisse versprochen

BERLIN (dpa-AFX) - Die von der Ampel-Koalition angekündigten umfassenden
Neuregelungen zu Adoption, Sorgerecht, Abstammung und Unterhaltsrecht sorgen
schon vor Veröffentlichung des ersten Gesetzentwurfs für reichlich
Gesprächsstoff - auch intern. "Die Arbeiten am Gesetzentwurf zur Reform des
Abstammungsrechts sind gut vorangekommen", sagte Bundesjustizminister Marco
Buschmann (FDP) der Deutschen Presse-Agentur. Hierzu stehe sein Haus mit dem
Bundesinnenministerium in engem Austausch, um "noch ein paar technische Fragen
zu klären". Ernsthafte Probleme sehe er aber nicht, betont der FDP-Politiker. Er
sagt: "Ich bin zuversichtlich, dass wir den Entwurf noch vor der Sommerpause
fertigstellen und veröffentlichen können."

Weniger Unterhalt bei höherer Betreuungsleistung

Mit dem Familienministerium sei er zudem im Gespräch über die geplante
Reform des Unterhaltsrechts. Das geltende Unterhaltsrecht führe zu ungerechten
Ergebnissen, wenn sich beide Elternteile in der Betreuung ihrer Kinder
engagierten. "Unser interner Gesetzentwurf für die Reform des Unterhaltsrechts
ist fertig", sagt Buschmann. Der Justizminister hatte bereits im August
Vorschläge für ein neues Unterhaltsrecht vorgelegt. Danach soll sich die
Betreuungsleistung getrennt lebender Elternteile künftig auch dann spürbar auf
den zu leistenden Unterhalt auswirken, wenn die Betreuung ungleich verteilt ist.

Von der Änderung betroffen wären alle Fälle, in denen ein Elternteil das
Kind in einem Umfang zwischen 30 Prozent und 49 Prozent mitbetreut. Für
Ex-Paare, bei denen das 50:50-Wechselmodell zur Anwendung kommt oder beim
sogenannten Residenzmodell, wo das Kind hauptsächlich bei einem Elternteil - oft
es die Mutter - lebt, soll sich dagegen nichts ändern.

Kritiker merken allerdings an, dass es mit Blick auf die
Arbeitsmöglichkeiten des mehrheitlich betreuenden Elternteils nicht nur auf den
Anteil, sondern auch auf die konkreten Zeiten und die Planbarkeit ankomme. Das
sind manchmal kleinteilige Fragen wie: Wenn die Betreuungszeit des Vaters am
Montagmorgen endet und die Mutter das Kind um 16 Uhr aus der Ganztagsbetreuung
abholt, was heißt es dann, wenn der Unterricht ausfällt oder das Kind am
Montagmorgen Fieber hat. "Wir wirken darauf hin, dass die Reformvorhaben,
insbesondere die Unterhaltsrechtsreform, nicht dazu führen, dass sich die
Situation des hauptbetreuenden Elternteils verschlechtert", sagt der
rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Helge Limburg. Hier
müsse es darum gehen, Armutsrisiken - vor allem bei Müttern - zu verringern.

Möglichkeiten für gleichgeschlechtliche Paare und Patchworkfamilien

Die Eckpunkte zum Kindschaftsrecht hat Buschmann dann im Januar
veröffentlicht. Sie würden es für Eltern, die in gleichgeschlechtlichen
Beziehungen oder Patchworkfamilien leben, vereinfachen, die Verantwortung für
das Kind nach ihren eigenen Vorstellungen zu verteilen. Ein Samenspender soll
etwa schon vor der Schwangerschaft den Verzicht auf sein gesetzliches
Umgangsrecht gegenüber den Sorgeberechtigten unabänderlich erklären können. Auch
Kinder, die in einer Partnerschaft zweier Frauen geboren werden, sollten aus
Sicht des Bundesjustizministers von Geburt an zwei Elternteile haben können.
Außerdem wolle er mehr Rechtssicherheit bei privaten Samenspenden ermöglichen.

Dass es mit dieser Reform vorangeht, wünscht sich auch Helge Limburg. Der
Grünen-Politiker sagt: "Durch die Kindschaftsrechtsreform wollen wir die
unterschiedlichen gelebten Familienrealitäten endlich im Recht abbilden." Dabei
müsse die "soziale Familie" im Mittelpunkt stehen. Die einzelnen Reformpunkte
müssten dem Kindeswohl zuträglich sein.

Für neue Partner getrennt lebender Eltern plant der Bundesjustizminister
eine Regelung zum "kleinen Sorgerecht", die den Alltag erleichtern soll - damit
beispielsweise auch die Stiefmutter oder der neue Freund der Mutter mit dem Kind
zum Arzt gehen und eine Entschuldigung für die Schule schreiben kann. Auch
Großeltern oder Freunden ohne familiären Bezug sollen Eltern solche Rechte
einräumen können. Gewisse Voraussetzungen soll es allerdings geben: Die
Gewährung solcher Befugnisse an Dritte durch die Sorgeberechtigten muss
schriftlich vereinbart werden. Für jedes Kind sind laut Eckpunkte-Papier maximal
zwei Menschen mit "kleinem Sorgerecht" erlaubt.

Urteil zu Rechten leiblicher Väter muss berücksichtigt werden

Die geplante Reform stärke überdies die Rechte leiblicher Väter, sagt
Buschmann. Nach einer Beschwerde eines Mannes aus Sachsen-Anhalt hatte das
Bundesverfassungsgericht im April die Position von Männern im Kampf um die
rechtliche Vaterschaft für ihre leiblichen Kinder gestärkt. Demnach können
Kinder mehr als zwei rechtlich verantwortliche Elternteile haben. Der
Gesetzgeber müsse beim Elterngrundrecht die rechtliche Elternschaft des
leiblichen Vaters neben der Mutter und dem rechtlichen Vater berücksichtigen.

Buschmann betont jedoch: "Am Zwei-Eltern-Prinzip werden wir festhalten: Auch künftig wird ein Kind nicht mehr als zwei rechtliche Eltern haben können."

Und wenn der Rosenkrieg schon ausgebrochen ist?

Diejenigen, die Kritik an Buschmanns Vorschlägen geübt haben, räumen zwar
ein, die Eckpunkte böten mehr Gestaltungsspielraum für kooperative Eltern. Sie
vermissen allerdings Lösungen für die vielen strittigen Fälle, die
Familiengerichte und Jugendämter beschäftigen. Die Ehrenvorsitzende des
Deutschen Familiengerichtstags, Isabell Götz, merkte in der "Neuen Juristischen
Wochenschrift" an, die partnerschaftliche Betreuung eines Kindes solle laut dem
Papier aus dem Ministerium auch nach Trennung der Eltern als Umgangsregelung im
Gesetz vorgesehen werden - "aber ist auch eine Regelung zur Wiederauflösung
dieser vorgesehen, wenn sie dem Wohl des Kindes nicht mehr dient?" Denn vor
allem, wenn nur ein Elternteil sorgeberechtigt sei, entzünde sich gerade daran
aktuell der Streit.

Noch viel grundsätzlicher ist die Kritik, die von der Union erhoben wird.
"Die Auswirkungen dieser gesellschaftspolitischen Änderungen sind gravierend",
sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Andrea Lindholz (CSU).
"Zugunsten einzelner Individualisierungswünsche Erwachsener wird ein etabliertes
Rechtssystem auf den Kopf gestellt, ohne Not und ohne gesellschaftliche Mehrheit
in unserem Land."/abc/DP/zb

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